Turnen. Der Deutschland-Cup ist für Wettkampfgymnastinnen stets der Saisonhöhepunkt. Mailin Widmann hat sich in der Altersklasse K 10 der Erwachsenen 18+ für die Einzel-Kür an diesem Wochenende im südhessischen Kriftel qualifiziert. Andreas Eberle hat die 17-jährige Bietigheimerin, die für den TV Sersheim startet, bei der Anreise im ICE nach Frankfurt am Telefon erwischt und mit ihr über Lampenfieber, Schminke und den Reiz ihrer Sportart gesprochen.
Obwohl Sie erst 17 Jahre alt sind, waren Sie schon drei Mal beim Deutschland-Cup dabei. Sind Sie trotzdem noch vor jedem Auftritt so aufgeregt wie bei Ihrer Premiere?
Klar gewöhnt man sich mit der Zeit an die besondere Situation, das Lampenfieber wird aber nie weggehen. Wenn man plötzlich vor den Kampfrichtern steht und gleich auf die Fläche muss, ist man immer nervös.
Von Montag bis Freitag waren Sie auf Klassenfahrt in München. War so eine adäquate Vorbereitung auf den Wettkampf überhaupt möglich?
Diesmal habe ich mich notgedrungen kaum auf den Deutschland-Cup vorbereitet. In München konnte ich unter der Woche nicht trainieren. Auch in den Pfingstferien war das nicht möglich, weil ich da im Familienurlaub in Griechenland war. Für die Wettkämpfe davor habe ich aber sehr viel trainiert, darum fühle ich mich trotzdem noch sicher.
Sie messen sich in Kriftel bei der K 10 mit den besten 18 Gymnastinnen aus ganz Deutschland. Mit welchem Platz wären Sie zufrieden?
Ich habe immer hohe Erwartungen an mich und strebe die Top ten an. Die Konkurrenz ist aber sehr stark. Manche Rivalin ist 24 Jahre alt und damit viel erfahrener. Ich kenne viele Gymnastinnen schon von anderen Wettkämpfen. Darum weiß ich, wie gut die sind und wie viel sie auch trainieren. Vor drei Jahren habe ich in der Altersklasse K 9 von 15 bis 17 Jahren den 14. Platz unter 26 Teilnehmerinnen belegt. Das war bisher mein bestes Einzel-Ergebnis.
Wie sieht Ihr Trainingspensum sonst in gewöhnlichen Wochen aus?
Normalerweise trainieren wir drei Mal pro Woche beim TV Sersheim für jeweils zwei Stunden – meist auch in den Ferien. Nur in den Sommerferien machen wir drei Wochen komplett Pause, weil da viele im Urlaub sind. Vor Wettkämpfen legen wir oft auch ein Trainings-Wochenende ein. Zusätzlich trainiere ich noch allein und mache da zum Beispiel Muskeltraining.
Was fasziniert Sie an der Wettkampfgymnastik?
Die Sportart hebt sich von vielen anderen ab, weil sie sehr viel Unterschiedliches bietet. Vor allem bei der Kür sieht man nie das Gleiche. Jede einzelne Person präsentiert eine völlig andere Übung zu einer anderen Musik. Jede setzt die einzelnen Elemente anders um. Mich reizt die Verbindung mit einem Handgerät. Mit Ball, Reifen, Seil, Band und Keule zu tanzen, finde ich ästhetisch, und das ist auch fürs Publikum schön anzusehen. Außerdem gefällt mir, dass ich die Wahl habe, ob ich lieber allein oder in der Gruppe tanze – oder beides.
Was gefällt Ihnen besser?
Ich kann gar nicht sagen, was ich angenehmer finde. Im Gruppensport fällt es einem leichter, auf die Fläche zu gehen. Da ist man weniger nervös und entspannter, weil man seinen Auftritt nicht allein absolviert. Im Einzel anzutreten ist aber auch spannend. Schließlich hat man etwas Eigenes kreiert – und das zu zeigen, macht genauso viel Spaß wie ein einstudierter Gruppenauftritt.
Wie und in welchem Alter sind Sie zur Gymnastik gekommen?
Schon mit fünf Jahren. Ich habe gleichzeitig mit Turnen und Gymnastik angefangen und mich dann für Letzteres entschieden. Wir haben damals in Sersheim gewohnt. Schon beim Mutter-Kind-Sport habe ich als kleines Mädchen die Gymnastinnen immer beim Training bewundert und wollte da unbedingt auch mal mitmachen. So bin ich dann hineingewachsen.
Haben Sie ein sportliches Vorbild?
Ich orientiere mich am ehesten an den Gymnastinnen aus meinem Verein. Jasmin Geske, die Tochter unserer Trainerin Karin Geske, finde ich zum Beispiel toll, weil sie einen super Ausdruck hat. Vorbilder sind natürlich auch die international erfolgreichen Rhythmischen Sportgymnastinnen wie die Russin Rita Mamun.
Warum sind die Sportlerinnen bei den Auftritten denn immer so stark geschminkt?
Beim Betreten der Fläche will man gleich einen guten ersten Eindruck machen und auffallen. Die Kampfrichter sollen denken: Da hat sich eine Gymnastin morgens schon ins Zeug gelegt. Der Lippenstift dient zum Beispiel dazu, das breite Lächeln zu betonen. Unsere Schminke passen wir je nach Tanzmusik an – also etwa eher dunkle Schminke bei trauriger Musik. Außer bei der Gruppe Gymnastik und Tanz müssen wir übrigens immer einen Dutt tragen. Wenn Haare herausschauen oder die Kleidung nicht sitzt wie vorgegeben, gibt es Punktabzug.
Der Deutschland-Cup Gymnastik und Tanz für die Gruppen findet erst im Oktober in Röbel bei Berlin statt. Was haben Sie dort mit der Mannschaft des TV Sersheim vor?
2021 haben wir den zweiten Platz erreicht. Wir hoffen, dass wir diesen Erfolg wiederholen können – oder sogar noch etwas besser sind.
Warum findet Ihre Sportart in der Öffentlichkeit kaum Beachtung?
Die Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Wenn ich Leuten von meinem Hobby und Wettkampfgymnastik erzähle, ernte ich oft erstaunte Blicke – nach dem Motto: Was ist das überhaupt? Die Sportart ist sehr unbekannt, es gibt ja auch nur wenige Vereine, die so etwas anbieten. Fußballvereine gibt es dagegen praktisch überall. Zu unseren Wettkämpfen kommen auch vergleichsweise wenig Zuschauer. Die geringe Resonanz finde ich schade. Denn wir betreiben einen richtig anspruchsvollen und coolen Sport.