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„Wir sind auch Bürger und Kunden“

Flashmob der Lebenshilfe Vaihingen-Mühlacker in Vaihingen zum gestrigen europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. „Inklusion pur steht hier auf dem Marktplatz“, stellte Geschäftsführerin Sandra Sailer erfreut fest.

  • Marcus Krupp ist gehbehindert und macht sich für mehr Inklusion stark.

    Marcus Krupp ist gehbehindert und macht sich für mehr Inklusion stark.

  • Flashmob der Lebenshilfe Vaihingen-Mühlacker auf dem Vaihinger Marktplatz mit einem Tanz, bei dem jeder mitmachen konnte.  Fotos: Rücker

    Flashmob der Lebenshilfe Vaihingen-Mühlacker auf dem Vaihinger Marktplatz mit einem Tanz, bei dem jeder mitmachen konnte. Fotos: Rücker

Vaihingen. „Ich muss sagen, dass es in Vaihingen besonders an Barrierefreiheit fehlt“, stellte Marcus Krupp in seinem Redebeitrag auf dem Vaihinger Marktplatz gestern fest. Gemeinsam mit rund 70 Personen, gut die Hälfte davon Kinder, hatte der gehbehinderte Vaihinger bei der Aktion der Lebenshilfe Vaihingen-Mühlacker zum europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung mitgemacht. „Tempo machen für Inklusion“ lautete das diesjährige Motto des 5. Mai, an dem seit 30 Jahren auf das Thema aufmerksam gemacht wird. Man habe den Protesttag nach Vaihingen geholt, denn „Vaihingen ist auch groß und bunt, das wollen wir heute zeigen“, sagte Katrin Saalbach vom Projekt-Team Inklusion der Lebenshilfe. Und beim Flashmob tanzte Groß und Klein, Menschen mit und ohne Behinderung, zum Lied „Zusammen“ der Fantastischen Vier in bunter Formation.

„Inklusion pur steht hier auf dem Marktplatz“, stellte Lebenshilfe-Geschäftsführerin Sandra Sailer bei diesem Anblick erfreut fest. Neben Schülern der Vaihinger Wilhelm-Feil-Schule und der Bietigheimer Schule am Gröninger Weg seien auch Menschen aus Ludwigsburg und Mühlacker da, die sich extra von ihrer Arbeitsstelle freigenommen hätten, erkannte Sailer.

All die Aktionen am gestrigen Tag hätten das Ziel, auf die Wünsche und Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung aufmerksam zu machen. Diese „möchten gehört, gesehen und verstanden werden. Und das Wichtigste: Sie möchten überall mit dabei sein und mitmachen können“, heißt es von der Lebenshilfe.

Ein Großteil der Gesellschaft verstehe unter Barrierefreiheit, dass öffentliche Räume von Menschen mit Gehhilfe oder Rollstuhl besucht werden können. Sie erleichtere jedoch auch Menschen mit einer Seheinschränkung, Menschen mit Höreinschränkungen, Menschen mit Sprachproblemen, Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Menschen mit Autismus, älteren Menschen, Eltern mit Kinderwagen, und vielen mehr den Alltag.

„Nicht jeder kann gut lesen“, verdeutlichte auch Marcus Krupp, der in Vaihingen in einer Wohngemeinschaft der Lebenshilfe wohnt. Immer wieder höre man von Inklusion und Barrierefreiheit, in vielen Städten habe sich schon viel verändert. „Aber hier in Vaihingen bekomme ich leider nur sehr wenig mit“, so der Vaihinger. „Und das, obwohl ich seit zehn Jahren hier lebe und als Beauftragter für Barrierefreiheit im Projekt Inklusion leicht gemacht schon viele prüfende Runden durch Vaihingen gedreht habe“, führte er weiter aus.

„Wie viele Ämter, Geschäfte und Unternehmen sehen, dass wir einen anderen Bedarf haben? Wir sind auch Bürger und Kunden! Vergesst das nicht“, appellierte er für mehr Tempo bei der Inklusion in der Stadt unterm Kaltenstein. Barrierefreiheit sei gute Begehbarkeit der öffentlichen Räume. „Wir möchten einkaufen, ohne Hindernisse zum Arzt. Wir möchten in Cafés oder an einer Veranstaltung teilnehmen. Oder auch nur durch die Fußgängerzone bummeln, ohne vom Kopfsteinpflaster durchgeschüttelt zu werden ...“, sagte Krupp.

Als die Lebenshilfe vor vier Jahren das Projekt „Inklusion leicht gemacht“ vorgestellt habe, habe er sich sehr gefreut. „Endlich wird was für uns getan!“ Doch es gibt noch jede Menge zu tun, verdeutlicht der 46-Jährige. Der Bahnhof Vaihingen habe barrierefreie Zugänge.

„Wunderbar! Aber was nützt das, wenn ich den Bordstein mit meinem Rollstuhl nicht hochkomme? Oder wenn ich Informationen oder Fahrpläne nicht lesen kann. Auch fahren in Vaihingen und Umgebung immer noch Busse, in die kein Rollstuhlfahrer alleine einsteigen kann.“

Nicht nur bei Bus und Bahn, sondern in ganz Vaihingen gebe es noch zu viele Hindernisse: zu viele Treppen und Stufen, zu wenige Rampen oder andere Hilfsmittel.

Aber Barrierefreiheit sei auch Leichte Sprache, sagt Krupp: „Wir möchten Informationen lesen und verstehen können. Wir möchten Wege ohne Hilfe finden. Wir möchten Anträge selbstständig ausfüllen können.“

Barrierefreiheit sei „die Freiheit, uns unabhängig in der Gesellschaft zu bewegen. Barrierefreiheit ist, Teil der Gesellschaft zu sein – ohne bitte und danke.“

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