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Durch den Winter steigt der Bedarf

Oksana Richter sammelt seit Beginn des russischen Angriffskrieges Sachspenden für ihre Landsleute in der Ukraine. Die Sammelstelle im Rieter Rathaus ist samstags von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Benötigt werden unter anderem warme Kleidung und haltbare Lebensmittel.

  • Oksana Richter (Zweite von rechts) ist Simone Seemüller (rechts) sowie Diana Stäub und ihrem Mann (Zweiter und Dritte von links) sehr dankbar für deren tatkräftige Unterstützung.  Fotos: Gergen

    Oksana Richter (Zweite von rechts) ist Simone Seemüller (rechts) sowie Diana Stäub und ihrem Mann (Zweiter und Dritte von links) sehr dankbar für deren tatkräftige Unterstützung. Fotos: Gergen

  • Oksana Richter und ihre Nichte Kateryna Boichuk (links) haben auch ein paar Weihnachtsüberraschungen für ihre Landsleute vorbereitet.

    Oksana Richter und ihre Nichte Kateryna Boichuk (links) haben auch ein paar Weihnachtsüberraschungen für ihre Landsleute vorbereitet.

  • Fahrer Jura Veluchko (von links) hat Ortsvorsteherin Nicole Müller sowie Oksana Richter und ihrem Sohn von den Frontsoldaten eine Flagge mit Dankesbotschaften mitgebracht.

    Fahrer Jura Veluchko (von links) hat Ortsvorsteherin Nicole Müller sowie Oksana Richter und ihrem Sohn von den Frontsoldaten eine Flagge mit Dankesbotschaften mitgebracht.

Riet. Am Montagabend war es wieder einmal so weit. Wie bereits knapp ein Dutzend Mal seit Ende Februar fuhr vor dem Rieter Rathaus ein schwarzer Kleintransporter mit UA-Kennzeichen vor, um bei der dortigen Sammelstelle „Hilfe für die Ukraine“ erneut Kartons voller Sachspenden für das vom russischen Angriffskrieg gebeutelte Land entgegenzunehmen.

Bereits drei Tage nach der russischen Invasion am 24. Februar startete die Hilfsaktion in Riet – organisiert von Oksana Richter. Sie stammt aus dem osteuropäischen Staat und hat noch ihre ganze Familie dort. „Am ersten Tag habe ich nur geweint, dann war ich auf zwei großen Demos in Stuttgart und danach war klar, ich muss was tun, sonst drehe ich durch. Also habe ich gleich begonnen, Spenden zu sammeln“, erzählt die 46-Jährige und berichtet, dass die Hilfsbereitschaft zunächst überwältigend gewesen sei. Während sie bei der Arbeit war, habe ihr 15-jähriger Sohn Michael in den Faschingsferien die Anrufe und Spenden entgegengenommen und innerhalb kürzester Zeit seien zwei Garagen gefüllt gewesen und die ersten Transporte gelaufen. Über den Sommer habe das Ganze dann jedoch spürbar an Dynamik verloren.

Genau gegensätzlich verhält es sich durch die anhaltenden Kampfhandlungen, die teils flächendeckende Zerstörung wichtiger Infrastruktur und den Wintereinbruch allerdings mit dem Bedarf an Gütern, der von warmer Kleidung, Decken, Camping-Ausrüstung und medizinischer Versorgung über Generatoren, Powerbanks, haltbare Lebensmittel und Hygieneprodukte bis hin zum Bedarf für Neugeborene und Kinder reicht. Ob Windeln, Feuchttücher, Fieberzäpfchen, Babyöl oder Schnuller, ob Waschpulver, Seife, Woll- und Thermodecken, Einweghandschuhe oder Verbandsmaterial, ob Winterkleidung und sättigende Lebensmittel wie Knäckebrot, Müsli, Powerriegel, H-Milch oder Eintopf – jeder einzelne Beitrag ist mehr als willkommen. Denn auf die Frage, was davon am dringendsten benötigt werde, antwortet Oksana Richter einfach nur: „Alles!“ Dann wird sie doch noch konkreter: „Für die Jungs, die unser Land verteidigen, vor allem Schlafsäcke, Isomatten, warme Anziehsachen und haltbares Essen.“

Während ihre Eltern im noch relativ ruhigen Westen der Ukraine in der Nähe von Iwano-Frankiwsk, dem ehemaligen Stanislau, leben, wohnen zwei Brüder mit ihren Familien direkt in der Hauptstadt Kiew und waren bereits wiederholt Raketenbeschuss ausgesetzt. Deshalb hat Oksana Richter bereits im März ihre Nichte Kateryna zu sich genommen. Die 17-Jährige besucht derzeit eine Integrationsklasse am Stromberg-Gymnasium und packt am Montagabend ebenfalls kräftig mit an. Fahrer Jura Veluchko, der die rund 3000 Kilometer lange Rundfahrt von Kovel über Bayern, den Stuttgarter Raum bis in den Nordschwarzwald mittlerweile fast im Schlaf kennt, freut sich, dass er in Riet erneut Spenden entgegennehmen kann. Für die Verteilung gibt es in der Ukraine eine ausgeklügelte Logistik, wie man von der Organisatorin erfährt. Je nach Bedarf werden ähnliche Güter auf Paletten umgeladen und gezielt an die Orte transportiert, wo sie gerade am meisten fehlen. „Letztes Mal hatte ich ziemlich viel Bettwäsche bekommen. Die wurde dann zu Krankenhäusern gebracht. Oder bestimmte Nahrung wird an Kinderheime geliefert“, erzählt Oksana Richter, deren Bruder auch regelmäßig an die Front fährt, um die Soldaten dort direkt mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie selbst kam zur Jahrtausendwende als Au-Pair nach Deutschland und lebt nach eigener Aussage seit zwölf Jahren glücklich mit Mann und Sohn im kleinsten Vaihinger Teilort.

Dank der unkomplizierten und unmittelbaren Unterstützung durch Ortsvorsteherin Nicole Müller konnte sie einen leerstehenden Raum im Rieter Rathaus als kostenlose Sammelstelle einrichten, die jeden Samstagnachmittag geöffnet ist. „Ich bin wirklich für jede Sachspende dankbar“, betont die engagierte Ukrainerin und fügt zugleich hinzu, dass sie außerdem ein großes Dankeschön aussprechen wolle an alle, die sie bisher in überwältigender Weise unterstützt hätten. Dazu gehören zweifellos Diana Stäub und ihr Mann aus Kleinglattbach. Die beiden helfen von Anfang an, sammeln auch im Freundeskreis und regen an, zwischen den Jahren doch einfach mal im eigenen Keller oder auf dem Dachboden zu stöbern, ob sich dort nicht das eine oder andere zum Spenden findet. Auch Simone Seemann aus Eberdingen, die gleich mehrere ukrainische Familien auf ihrem Biohof beherbergt, ist mit ihrer kleinen Tochter gekommen, um beim Einladen mitanzupacken. So dauert es nicht lange, bis sämtliche Kleiderkartons, Lebensmittelkisten, Rollmatratzen, Schulranzen, Kinderwägen, Baby-Sitze und auch ein paar hübsch verpackte Weihnachtsgeschenke in Jura Veluchkos Bus verstaut sind und dieser sich nach Pforzheim zu seiner nächsten Station aufmacht. Was ihn bei der Rückreise an der Grenze oder in der Ukraine selbst erwartet, ist jedes Mal eine große Ungewissheit. Im Laufe des Tages gab es bei neuen russischen Luftangriffen wieder mehrere Tote. „Aber mittlerweile haben sich die Menschen darauf eingestellt und gehen wieder ihrem Alltag nach“, berichtet Oksana Richter von ihrem letzten Heimatbesuch im September. „Die Angst wie am Anfang, als sich alle versteckt haben, gibt es nicht mehr“, beschreibt sie die Gefühlslage ihrer mutigen Landsleute.

Wer helfen möchte, kann seine Sachspenden samstags zwischen 15 und 18 Uhr zur Sammelstelle im Rieter Rathaus in die Ludwigsburger Straße 14 bringen oder sich unter Telefon 01 63 / 9 08 73 76 direkt mit Oksana Richter in Verbindung setzen.

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