Stuttgart

Politisches Wunder

Eine große Schulreform im Land kommt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Stuttgart - Und sie bewegt sich doch! Begonnen hat die grün-schwarze Legislaturperiode vor ziemlich genau drei Jahren mit einer bildungspolitischen Stillhaltevereinbarung namens Koalitionsvertrag. Dass es im Land jetzt trotzdem zu tiefgreifenden Verbesserungen in den Grundschulen, zur Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums und einer Flurbereinigung bei den übrigen weiterführenden Schulen kommen soll, kann man deshalb schon als eine Art politisches Wunder betrachten.

Es ist ein Wunder, das viele Väter und Mütter hat. Die wichtigsten, das sei vorausgeschickt, sind nicht Teil der Koalition. Winfried Kretschmann und seine dritte Regierung sind in den vergangenen Jahren immer mehr zu Getriebenen geworden. Denn auch im Land können immer mehr Kinder und Jugendliche immer schlechter lesen, schreiben und rechnen. Zudem hat eine Elterninitiative es geschafft, der latenten Unzufriedenheit mit dem achtjährigen Gymnasium eine politische Stoßrichtung zu verleihen.

Dass die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren nun als Hebel genutzt wird, um eine Konzentration im Bildungssystem anzugehen, ist erstens notwendig und zweitens ein großer Fortschritt für das Land. Aus eigenem Antrieb hätten Grüne und CDU so viele ihrer programmatischen Differenzen über diese Strukturfragen nicht überwunden. Um das grün-schwarze Reformpaket zu ermöglichen, waren neben dem Druck der Bevölkerung auch die Angebote zu einer koalitionsüberschreitenden Bildungsallianz mit den oppositionellen Sozialdemokraten und Liberalen notwendig. Unabhängig davon, ob es bei den anstehenden Gesprächen zu einer großen Bildungsallianz aus allen vier Parteien kommt, können SPD und FDP mit Fug und Recht einen Anteil an der erreichten kleinen, grün-schwarzen Bildungsallianz für sich reklamieren.

Das Herzstück der grün-schwarzen Vorschläge zur Strukturbereinigung ist, dass Haupt- und Werkrealschulen in Verbünden mit Real- und Gemeinschaftsschulen aufgehen werden. Beide Schularten haben unterschiedliche pädagogische Ansätze, sollen aber neben einer klaren Berufsorientierung mit Haupt- und Realschulabschluss auch direkte Wege zum Abitur und damit zum Hochschulzugang eröffnen – sei es durch enge Kooperation mit beruflichen oder allgemeinbildenden Gymnasien. Damit kann es auch zu einer klareren Rollenverteilung zwischen allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien kommen. Wird das konsequent umgesetzt, kann das Schulsystem leistungsfähiger und durchlässiger werden. Schüler und Eltern wissen, dass keine Schule und kein Abschluss in die Sackgasse führen. Allerdings wird das kein Spaziergang. Auch die Überführung von kleinen, bisher mit hohen Kosten am Leben erhaltenen Schulstandorten in lebensfähige Verbünde wird in manchen Regionen Stress auslösen.

Angesichts der harten politischen Konkurrenz ist es gut möglich, dass SPD und FDP zu viele Nachteile für sich erkennen, um der Koalition bei den anstehenden Gesprächen die Zustimmung für eine große Bildungsallianz zu gewähren. Aber da in absehbarer Zeit keine Regierung in Baden-Württemberg ohne Grüne oder CDU gebildet werden kann, ist das Ziel einer Verständigung auf stabile und leistungsfähige Schulstrukturen, die Legislaturperioden überdauern können, faktisch schon erreicht.

Ansätze für Kritik gibt es an vielen Punkten. Sie wird auf den Tisch kommen – sei es bei Allianzgesprächen, aus der Opposition heraus oder in Wahlkämpfen. Ein Schulparadies wird Baden-Württemberg durch das Paket nicht, aber das ist sowieso Utopie. Ein tragfähiger Grundkonsens für Schule ist es schon.

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