Stuttgart

Leitartikel: Ein Dealvon gestern

US-Präsident Joe Biden hat bei der Abwehr einer Staatspleite noch einmal die Mitte mobilisiert.

Sleepy Joe, also schläfriger Joe – das ist ein böser Spitzname, den der republikanische Ex-Präsident Donald Trump seinem Nachfolger Joe Biden angehängt hat. Aber die Tatsache, dass der 80-jährige US-Präsident kurz vor der Klippe der Zahlungsunfähigkeit mit den Republikanern im US-Kongress einen Schuldendeal eingefädelt hat, dem sowohl demokratische als auch republikanische Kongressabgeordnete nur unter Zähneknirschen zugestimmt haben, spricht zumindest dafür, dass Biden die gute alte politische Kunst des Kompromisses beherrscht. Einst war die ein Markenzeichen der USA, wo im Kongress immer wieder Mehrheiten auch über die Parteigrenzen hinweg gefunden wurden.

Das Theater um das Schuldenlimit im US-Haushalt, das im Gegensatz zu den meisten anderen Demokratien separat zu den Haushaltsbeschlüssen angehoben werden muss, gab es schon, bevor Donald Trump die politische Kultur in den USA ruiniert hat. Auch gegenüber dem demokratischen Präsidenten Barack Obama drohten republikanische Mehrheiten immer wieder damit, ihm schlicht das Geld zur Bezahlung der Schulden ausgehen zu lassen. Am Ende brachte die Panik vor einem möglichen Zahlungsausfall der USA die Kontrahenten regelmäßig zur Vernunft.

Aber Vernunft ist ein Wort, das in der US-amerikanischen Politik spätestens seit Donald Trump zur Mangelware geworden ist. Und so ist der Schuldendeal immerhin ein Indikator dafür, dass für den Augenblick zumindest eine schweigende Mehrheit der Republikaner beschlossen hat, entgegen dem lautstarken Protest einer Minderheit in den eigenen Reihen tatsächlich ab und zu einmal zu regieren. Am Ende waren die Kürzungen im Haushalt, die in den Verhandlungen durchgesetzt wurden, sogar vergleichsweise moderat.

Das Bemerkenswerte an der Mehrheit für den Deal ist, dass es Joe Biden tatsächlich gelungen ist, eine Koalition der Mitte zu schmieden. Denn nicht nur am rechten Rand der Republikaner, sondern auch am linken Flügel der Demokraten verweigerten sich anfangs zahlreiche Abgeordnete einem Kompromiss. Die Tatsache, dass der nur dank massiven Zugeständnissen an rechte Republikaner ins Amt gekommene Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy in seiner eigenen Partei den Deal durchsetzte, ist durchaus eine Niederlage für den rechten Flügel der Trump-Nostalgiker. Doch die entscheidenden Stimmen kamen am Ende von den Demokraten.

Bedeutet der Kompromiss einen Klimawechsel in der amerikanischen Politik? Er zeigt erst einmal eines: Noch zieht die Angst vor desaströsen Folgen für die Wirtschaft selbst bei den üblichen Politikverweigerern vor allem auf republikanischer Seite. Das Vertrauen, dass die amerikanischen Institutionen am Ende wenigstens an diesem Punkt noch verlässlich funktionieren, hat auch die relativ entspannte Reaktion der Finanzmärkte im Zuge des politischen Feilschens unterstrichen.

Doch die Ränder fransen aus, nicht nur rechts bei den Republikanern, sondern auch ein Stück weit links bei den Demokraten. Joe Biden, der auch in seiner politischen Biografie ein Dinosaurier amerikanischer Kompromisspolitik ist, wird sehr wahrscheinlich bei den Demokraten noch einmal als Präsidentschaftskandidat antreten.

Doch bei den Republikanern laufen sich neben Donald Trump vor allem andere Polarisierer wie Floridas Gouverneur Ron DeSantis warm für den Präsidentschaftswahlkampf 2024. Und so wird der relativ geräuschlose Schuldendeal wohl schon im kommenden Präsidentschaftswahljahr zur nostalgischen Erinnerung.

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