Stuttgart

Eine Reform aus Angst

Nach langem Durchwursteln ändert die EU ihre Asylpolitik. Es ist nur ein erster Schritt.

Diese Reform ist weder historisch, noch ist sie das Ende der Menschlichkeit. Befürworter und Kritiker liegen beide falsch in ihren Übertreibungen. Tatsache ist, dass die nun im Europaparlament beschlossene Reform der Asyl- und Migrationspolitik überfällig ist. Die zentralen Probleme der europäischen Migrationspolitik sind seit Jahren bekannt. Doch selbst der Schock der Krise von 2015 reichte nicht aus, um die EU-Mitgliedsstaaten zum Handeln zu bewegen. Erst als die Flüchtlingszahlen zuletzt wieder angestiegen sind, wurde ein neuer Anlauf genommen.

Und womöglich wäre auch noch lange nichts vorangegangen, stünden nicht im Juni Europawahlen ins Haus. Denn bei ihrer geradezu hektischen Kompromisssuche wurde die Brüsseler Politik auch getrieben von der Angst, dass die extremen rechten Parteien aus der anstehenden Abstimmung als die großen Sieger hervorgehen könnten. Die machen in allen EU-Mitgliedstaaten Stimmung gegen die ankommenden Flüchtlinge und gehen damit erfolgreich auf Stimmenfang.

Doch die Suche nach einem Kompromiss gestaltete sich äußerst schwierig. Der Grund: bei dem hochemotionalen Thema zieht sich eine tiefe Kluft nicht nur quer durch die Europäische Union. So musste ein Ausgleich gefunden werden zwischen Ländern wie Italien, wo jedes Jahr zehntausende Menschen über das Meer ankommen. Auf der einen Seite steht Ungarn, das gar keine Flüchtlinge aufnehmen will.

Heftig gestritten wird auch in den Staaten selbst und sogar innerhalb der einzelnen Parteien. Geradezu zerrissen zeigen sich die deutschen Grünen. Deren Fraktionsmitglieder stimmten im Europaparlament mehrheitlich gegen das neue Asylgesetz. Doch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock lobten den umstrittenen Kompromiss. Der zeige die Handlungsfähigkeit Europas in schwierigen Zeiten. Dieser innerparteiliche Zwist - nicht nur beim Thema Asyl - scheint bei den Wählern nicht gut anzukommen. Die Grünen sind in den letzten Umfragen zur Europawahl geradezu abgestürzt.

Angesichts solcher Schwierigkeiten erscheint es erstaunlich, dass ein Kompromiss überhaupt gefunden werden konnte. Doch die Erleichterung über die nun aufs Gleis gebrachte Reform wird sich sehr schnell wieder legen. Die ernüchternde Erfahrung der vergangenen Jahre ist, dass es den schnellen, großen, gerechten Wurf nicht geben wird. Will Europa das Problem an der Wurzel packen, müssen nicht nur effektive Kontrollen an den Grenzen eingeführt werden. Die Transitländer müssen Teil des Konzeptes sein und vor allem die Herkunftsstaaten der Geflüchteten müssen einbezogen werden.

Ziel muss eine interessengeleitete Migrations- und Entwicklungspolitik der EU sein. Mit Anreizen und auch einem gewissen Druck müssen die Staaten dazu bewegt werden, die Menschen wieder zurückzunehmen, die in Europa keinen Anspruch auf Asyl haben. Gleichzeitig müssen den Menschen aus armen Ländern klare Wege aufgezeigt werden, wie sie nach Europa kommen können, um dort zu arbeiten. Davon würde auch die europäische Gesellschaft profitieren, die nach Arbeitskräften sucht.

Zudem kann über eine gezieltere Förderung von Entwicklungsprojekten dafür gesorgt werden, dass sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen müssen. All diese Vorschläge werden seit Jahren diskutiert, sind aber nie konsequent umgesetzt worden. Das geplante Asylpaket ist in diesem Sinne ein Erfolg, aber es ist nur der erste Schritt auf einem sehr langen Weg.

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