Es ist eine frappierende Erkenntnis: Die Zeit des Bauernhauses ist vorbei. Denn wenn heute ein Hof neu angelegt wird, dann wird meist ein ganz normales Wohnhaus geplant, das gesondert neben Stall und Schuppen steht. Früher dagegen lebten Mensch und Vieh unter einem Dach, oft war auch die Scheune mit dem Getreidelager und den Plätzen für die Gerätschaften direkt angeschlossen. Das traditionelle Bauernhaus also, das seit dem Mittelalter die häufigste und ursprünglichste Wohnform war, verschwindet.
Der renommierte Bauhistoriker Albrecht Bedal (Jahrgang 1947), der 23 Jahre lang das Freilichtmuseum Wackershofen bei Schwäbisch Hall leitete, hat nun in einem zwölf Jahre währenden Projekt alle bekannten Bauernhäuser aus der Zeit vor 1700 im Südwesten zumindest auf dem Papier gerettet. Bei der Vorstellung seines Buches im Haus des Schwäbischen Heimatbundes in Stuttgart häuften sich in den Grußworten die Superlative: Mammutprojekt, Meilenstein, Standardwerk. Auch das Buch selbst, für das das Landesamt für Denkmalpflege als Herausgeber fungiert, sprengt mit 640 Seiten und mehr als zwei Kilo Gewicht fast jedes Format.
Manche der Hausbesitzer baten die Bedals zum Kaffee herein
Tatsächlich hat Bedal mehr als 1000 alte Bauernhäuser aufgespürt, das sei auch deutschlandweit spitze, hieß es bei der Präsentation. Das Traurige daran: Rund 700 davon dürften mittlerweile abgerissen worden sein. Denn Albrecht Bedal hat zunächst alle Untersuchungsberichte zusammengetragen, die seit den 1970er Jahren in den Archiven des Landesamtes für Denkmalpflege, in den Freilichtmuseen und bei freiberuflichen Bauforschern vor sich hin schlummerten – viele waren damals gerade aus Anlass des bevorstehenden Abbruchs erstellt worden.
Dann aber hat Bedal, meist gemeinsam mit seiner Frau, alle Häuser auch aufgesucht. Manche Hausbesitzer baten sie zum Kaffee herein, andere seien äußerst skeptisch gewesen, als da jemand ihr Haus fotografiert hatte, erinnert sich Bedal lachend.
Im großen Buch stellt der Autor hundert Häuser ausführlich vor, alle weiteren werden in Stichworten dokumentiert. Das älteste stammt aus dem Jahr 1295, steht in Ingelfingen bei Künzelsau und sieht einfach jämmerlich aus. „Das müsste man endlich in einer großen Aktion erforschen“, meint Bedal. Denn selbst die ältesten Bauernhäuser in ganz Europa sind nur wenige Jahrzehnte bis höchstens hundert Jahre früher gebaut worden.
Das unumstrittene Zentrum eines Bauernhauses war die Wohnstube. Albrecht Bedal betont, dass sie zumindest in Baden-Württemberg schon in den ältesten bekannten Gebäuden vorhanden war, ebenso wie eine eigene Küche, die immer nebenan lag. Das hatte den Vorteil, dass die Schüröffnung und der Rauchabzug für den Kachelofen in der Küche stehen konnten, direkt neben dem meist offenen Herd. So war die Stube als wichtigster Raum des Hauses schön warm und doch rauchfrei. „Die Altvorderen waren so gescheit wie wir“, sagt Albrecht Bedal: „Auch sie wollten so gut wohnen, wie es ihre damaligen Möglichkeiten zuließen.“
Überhaupt hat Bedal in keinem Bauernhaus seit dem 13. Jahrhundert noch die Urform des Wohnens in einem offenen Hallenhaus angetroffen. Es gab fast immer schon eine Dreiteilung in Flur, Stall und Wohnbereich. In dieser Einheit aber gab es eine sehr große Vielfalt der Stile und Größen.
Daneben erfährt der Leser im Buch alles, was das Wohnen in einem Bauernhaus ausgemacht hat. Wie hat die Stalltür funktioniert? Wie wurde der Ofen geschürt? Wo lag der Abort? Auch alle Formen des Fachwerks, von der geschweiften Kreuzform bis zur Knaggenform, werden vorgestellt. Überhaupt sei vorwiegend mit Holz gebaut worden, weil das günstiger und das Material verfügbar gewesen sei. Steinhäuser hätten sich nur die reichen Bauern leisten können.
Ein Buch für Laien und eines für die Holznagelzähler
Albrecht Bedal räumte bei der Buchvorstellung selbst ein, dass sein dickes neues Buch doch eher etwas für „Holznagelzähler“ sei, also für Experten. Aber während der Pandemie sei ihm langweilig gewesen, und da habe er schon vorab eine kleine Fibel zum alten Bauernhaus herausgegeben, die für Laien konzipiert ist.
In beiden Bänden finden sich jedenfalls reichlich Anregungen für Bauernhaus-Spaziergänge. Und zum Glück wurden viele davon nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Wirklichkeit gerettet und stehen heute in den sieben Freilichtmuseen des Landes, etwa in Beuren oder in Gutach mit seinen Vogtsbauernhöfen. Die meisten der rund 200 Häuser in diesen Freilichtmuseen sind, natürlich, Bauernhäuser.
So heißen die zwei Bücher
Für Experten
Der Band „Alte Bauernhäuser in Baden-Württemberg. Atlas der datierten ländlichen Gebäude der Zeit vor 1700“ ist über den Buchhandel erhältlich. Er hat 640 Seiten und kostet 84 Euro. Das Buch kann kostenlos als PDF heruntergeladen werden.
Für Laien
Das Buch „Alte Bauernhäuser in Baden-Württemberg kennenlernen und verstehen“ ist über Albrecht Bedal direkt zu beziehen unter der E-Mail-Adresse albrecht.bedal@gmx.de. Es hat 174 Seiten und kostet 32 Euro.