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Der Superstar erlebt einen schwarzen Tag im Gelben Trikot

Der große Favorit Tadej Pogacar bricht bei der Tour de France in den Alpen ein, Etappensieger Jonas Vingegaard übernimmt die Führung – und Lennard Kämna fährt hinterher.

  • Unwiderstehlich: Jonas Vingegaard (links) tritt an, Tadej Pogacar  kann ihm nicht folgen.Foto: AFP/Anne-Christine Poujoulat

    Unwiderstehlich: Jonas Vingegaard (links) tritt an, Tadej Pogacar kann ihm nicht folgen.Foto: AFP/Anne-Christine Poujoulat

Die Tour ist auch deshalb ein Spektakel, weil sie sich ihre Unberechenbarkeit bewahrt hat. Bisher schien es, als könne Tadej Pogacar (23) an dieser Gesetzmäßigkeit rütteln – er galt auf dem Weg zu seinem dritten Sieg in Serie als nahezu unantastbar. Doch dann kam der Anstieg zum Col du Granon. Und der Mann in Gelb erlebte den schwärzesten Tag seiner Karriere.

Denn der Slowene verlor nicht nur die Führung an Etappensieger Jonas Vingegaard. Er brach komplett ein, wirkte total ausgelaugt, verlor unglaubliche 2:51 Minuten. Allerdings nicht seine Haltung. Nach der Niederlage gratulierte er Vingegaard, der zum Ausradeln auf der Rolle saß, mit einem Klaps auf den Oberschenkel. „Heute habe ich drei Minuten verloren, morgen gewinne ich vielleicht drei Minuten“, sagte Pogacar anschließend, „ich werde nicht aufgeben.“

Rätselraten um Pogacars Einbruch

Es war ein Satz, auf den das große Rätselraten folgte. Was war Pogacar widerfahren? Hatte er zu wenig gegessen oder getrunken? Spielt das Coronavirus eine Rolle – schließlich sind drei seiner Teamkollegen positiv getestet worden? Ließ er zu viel Kraft, als er in der ersten Woche zwei Etappen gewann und um jede Sekunde kämpfte? Antworten auf den Schwächeanfall gab es (noch) keine. Abgesehen von einer: Die Taktik des Teams Jumbo-Visma war komplett aufgegangen.

Auf der Anfahrt zum Col du Galibier, dem Dach der Tour 2022, hatten Vingegaard und Primoz Roglic abwechselnd attackiert. Wieder und wieder. Pogacar musste ständig nachsetzen, und trotzdem sah es da noch nicht so aus, als könne ihn das Szenario zermürben. Doch als Vingegaard am Schlussanstieg 4,5 Kilometer vor dem Gipfel erneut antrat, war der Widerstand des Slowenen gebrochen. „Die ganze Jumbo-Mannschaft hat mich angegriffen“, sagte er, „als Jonas dann ging, habe ich mich nicht gut gefühlt. Aber jetzt kann ich anfangen, sie zu attackieren.“ Allerdings aus einer schwachen Position.

Alle Vorteile liegen nun bei Jonas Vingegaard

Denn Pogacar musste nicht nur Vingegaard ziehen lassen, sondern auch noch fünf weitere Konkurrenten. In der Gesamtwertung ist er nun 2:22 Minuten hinter dem Dänen Dritter. Auch Romain Bardet (2:16) hat ihn überholt, Geraint Thomas (2:26) hat nur vier Sekunden Rückstand. Alle Vorteile liegen nun bei Vingegaard, die Sieganwärter haben die Rollen getauscht. Und es ist nicht so, dass sich der Mann im Gelben Trikot bei diesem Drama unwohlfühlen würde.

Nach der Zielankunft zeigte sich zwar, dass auch Vingegaard an die absolute Leistungsgrenze hatte gehen müssen. Minutenlang verharrte er, über den Lenker gebeugt, nahezu regungslos. Doch er erholte sich schnell. Zur Gratulation Pogacars sagte er nichts – weil er in diesem Moment bereits mit seiner Freundin telefonierte. „Sie und meine kleine Tochter bedeuten mir alles. Ohne sie wäre ich nicht in der Lage, das hier zu leisten“, sagte der 25-Jährige, um danach lächelnd und locker über die Taktik seines Teams zu sprechen: „Wir hatten einen Plan geschmiedet, wollten attackieren und das Rennen schwer machen. Am Ende war es eine superharte Etappe, und trotzdem haben mich die Abstände etwas überrascht.“ Weil auch er nicht mit einem solchen Einbruch von Pogacar gerechnet hatte – der Vingegaard den größten Tag als Profi bescherte. „Zu Beginn meiner Karriere habe ich nicht gedacht, jemals Gelb tragen zu können“, meinte er, „doch selbst wenn ich es bald wieder verlieren sollte, wird mir dieses Glücksgefühl niemand mehr nehmen können.“

Die Königsetappe wird zur nächsten Prüfung

Schon an diesem Donnerstag folgt die Königsetappe hinauf nach L’Alpe d’Huez. Dann wird es die Antwort auf die Frage geben, ob sich Pogacar von der Schwäche erholen kann. Vingegaard rechnet mit großem Widerstand: „Die Tage bis Paris werden hart.“

Zu hart waren die Anstiege am Mittwoch für Lennard Kämna. Dank einer fulminanten Attacke am Vortag hatte er beim Start nur elf Sekunden Rückstand auf Pogacar – doch schon bald keine Ambitionen mehr. Bereits am Col du Télégraphe gut 67 Kilometer vor dem Ziel verlor Kämna den Anschluss an die Gruppe der Favoriten. Am Ende kassierte er als 62. fast eine halbe Stunde Rückstand, fiel auf Rang 21 zurück und meinte: „Für mich war heute nichts zu holen.“ Was aber auch sein Gutes hatte – nur so kann Kämna weiterhin einen Etappensieg anpeilen. Sollte ihm dieser Coup doch noch gelingen? Dann wäre das nur ein weiterer Beweis für die Unberechenbarkeit der Tour de France.

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