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Stuttgart 21 gestoppt, Tiefbahnhof für Vaihingen

Unser Aprilscherz 2022: Energieautarkes Wohnquartier auf den freiwerdenden Gleisflächen der Enzstadt geplant. Region Stuttgart rückt mit dem Slogan „Mir sen phäp, in the Länd“ näher zusammen. In Kleinglattbach-Süd II könnte Bio-Hopfen für „Kaltensteiner Schlossbräu“ wachsen.

  • Auf diesen Flächen wird ein energieautarkes Wohnquartier entstehen.  Foto: Archiv

    Auf diesen Flächen wird ein energieautarkes Wohnquartier entstehen. Foto: Archiv

Vaihingen. Der Held dieses Megaprojekts, das die gesamte Region umwälzen wird und am Donnerstagmorgen in einer eiligst anberaumten Pressekonferenz vorgestellt wurde, ist eigentlich ein Anti-Held. Sein Name: Christian Huber, Sachbearbeiter beim Referat 24, Recht und Planfeststellung, beim Regierungspräsidium Stuttgart. Huber, der sich selbst als Eigenbrötler bezeichnet, trägt Hornbrille und gedeckte Farben und pflegt ein ausgefallenes Hobby. In seiner Freizeit widmet er sich unscheinbaren Urinsekten und deren ökologischer Einflussname auf den Boden. Mit seiner Publikation „Springschwänze (Collembola) und ihr Einfluss auf das Mikroklima im schwäbischen Oberland“ erregte er in Fachkreisen Aufsehen. Das war’s dann aber auch schon an aufregenden Ausreißern im Lebenslauf. Und nun das.

In Hubers Amtsstube landeten in den vergangenen Monaten diverse Anträge und Eingaben, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Da lag zum einen noch immer ein Durchschlag des Antrags auf brandschutzrechtliche Zulassung des Projekts Stuttgart 21, über den beim Eisenbahnbundesamt, kurz Eba, abschließend entschieden wird. Dann flatterte kürzlich noch der Widerspruch in Sachen Reservoir in Kleinglattbach auf seinen Schreibtisch. In kurzen Worten hatten bei diesem Vorhaben die Initiatoren angeregt, auf rund 20 Hektar Ackerland ein innovatives Wohnquartier unter dem Dach der IBA ’27 entstehen zu lassen. „Es hat mich wohl eher unbewusst beschäftigt“, räumt der 43-jährige Huber auf der Pressekonferenz in der Vaihinger Stadthalle ein. „Und dann hatte ich eine Idee“, lässt er weiter wissen. Und die Idee, die hat es in sich.

„Die Signale in Sachen Brandschutz waren nicht gut.“

Sachbearbeiter und Initiator Christian Huber

Huber geht mit seiner Vision in Fachabteilungen und Stadtverwaltungen hausieren und es passiert geradezu Unglaubliches: Die Zustimmung aller involvierten Entscheider fällt so positiv aus, dass das Großprojekt umgehend auf den Weg gebracht wird.

Dreh- und Angelpunkt des Geflechts aus Vorhaben ist Vaihingen, das einen Tiefbahnhof erhalten wird. Die Gleisflächen rund um den Vaihinger Bahnhof werden auf einer Länge von circa eineinhalb Kilometern rückgebaut, von der Mitte des Nebenwegtunnels an soll es dann in den Untergrund gehen. Auf den rund 25 Hektar freiwerdender Fläche soll ein energieautarkes Wohnquartier entstehen. Die Stromversorgung werde durch die Bewegungs- und Bremsenergie der Züge, Fotovoltaik und eine Windkraftanlage im nordöstlichen Bereich des Areals generiert und direkt in das Quartiersstromnetz eingespeist, so Huber bei der Vorstellung der Pläne. Ob der Aushub sich für eine Lehmbauweise der Gebäude eignet, werde im Moment von einer Expertenkommission geprüft, aber es sehe gut aus.

Stuttgart 21 steht dagegen das Aus unmittelbar bevor. „Die Signale in Sachen Brandschutz waren nicht gut“, erklärt Huber, der mit seinem Vorschlag, das Vorhaben zugunsten der Vaihinger Flächen fallenzulassen, offene Türen einrannte. Nun wird der Stuttgarter Kopfbahnhof erhalten bleiben und saniert. Es soll geprüft werden, ob die Tunnelbauwerke als Schutzräume genutzt werden können, „wogegen meiner Ansicht nach nichts spricht“, sagt der aus Bempflingen stammende Huber. Einige Abschnitte könnten sogar für Liebhaber des Untergrunds zu Wohnraum umfunktioniert werden. „Ich kenne Leute, die würden gerne in der Tiefe wohnen“, sagt er. Der Tiefbahnhof selbst soll voraussichtlich zu einem Wasserspeicher werden. „Das nenne ich Weitsicht in Sachen Klimawandel im Kessel“, so der Mitarbeiter des Regierungspräsidiums. Hierzu soll eine Art Leitungs-Kurzschluss von den rund 50 Meter tieferliegenden Mineralwasservorkommen in die Bahnhofswanne gelegt werden.

Die entstehenden Wohnräume in Vaihingen sollen der gesamten Region Stuttgart zugutekommen. Um diesem Zusammenrücken in prägnanten Worten Ausdruck zu verleihen, wurde von der Agentur Alt von Glanz der Slogan „Mir sen phäp, in the Länd“ erdacht. Möglichen Kritikern, die die Doppeldeutigkeit des Wortes phäp von sowohl eng verbunden als auch knausrig anmahnen, hat Landesvater Winfried Kretschmann präventiv schon ein „na und, auch ein gewisser Geiz wird dem Schwaben zugeschrieben“ entgegengesetzt. Und wer meine, den Slogan kapiere sowieso niemand außer ein paar schwäbische Nativ-Speaker, kontert Kretschmann: „Sinn und Zweck von Werbung ist es, Aufmerksamkeit zu erregen, und das tut dieser Slogan ganz bestimmt.“

Vaihingens Oberbürgermeister Gerd Maisch sprach am Donnerstag von einer „Win-win-win-Situation“ mit nahezu endlosen Synergie-Effekten. „Das ist eine tolle Zukunftsperspektive für Vaihingen und die Region Stuttgart“, ließ der OB wissen.

Freude herrschte auch bei Eberhard Zucker. Der Vaihinger Landwirt und Vorsitzende des Bauernverbands Heilbronn-Ludwigsburg hatte sich schon immer für den Erhalt wertvoller Ackerfläche ausgesprochen. Die rund 20 Hektar Ackerboden in Kleinglattbach würde nun er gerne langfristig pachten und biologisch bewirtschaften. Öko-Gemüse und vielleicht sogar „ein paar Reihen Bio-Hopfen“, könnten dann in Zukunft auf dem Gelände von Kleinglattbach Süd II wurzeln, hofft Zucker. Dies habe er auch schon Wolfgang Scheidtweiler verkündet. Der Hotelier und Braumeister ist Pächter von Schloss Kaltenstein und könne sich ein „Kaltensteiner Schlossbräu“, mit Kleinglattbacher Hopfen gebraut, sehr gut vorstellen.

Mit Vai-twentynine wird das Projekt und die Gartenschau beworben

Die Finanzierung sei gesichert, ist von den Vertretern der Deutschen Bahn und des Verbands Region Stuttgart am Donnerstag zu erfahren. So werde die kürzlich eingeräumte erneute Verteuerung von S21 einfach umgeschichtet zum Vaihinger Wohnprojekt. Vor Preisexplosionen habe man aktuell keine Angst: „So teuer wie jetzt wird’s nie mehr“, so die Meinung einiger Vertreter der Vorhabenträger.

Als Fertigstellungsjahr des Vaihinger Quartiers ist das Datum der Gartenschau 2029 angepeilt. Als „Vai-twentynine“ soll dieser Event beworben werden und zahlreiche Besucher aus der gesamten Region Stuttgart in die Enzstadt ziehen. Vor allem – auch das ein Coup von Huber – weil das Lindenmuseum seinen neuen Standort von der Landeshauptstadt ins freiwerdende Bahnhofsgebäude in Vaihingen verlegen wird – die Technikräume kommen in die Tiefe. „Die Architektur passt wunderbar zu unseren Vorstellungen“, ist aus Museums-Kreisen zu hören.

Sachbearbeiter Christian Huber wird sich nach dieser Aufregung erst mal eine Auszeit gönnen, verrät der Bempflinger. Zur Entspannung möchte er sich wieder seinen kleinen Lieblingen, den Springschwänzen, widmen. Sein nächstes Forschungsprojekt trägt den Titel: „Das Artenspektrum von Collembolen in Topfpflanzen deutscher Amtsstuben.“ Christian Huber freut sich: „Dann komm’ ich tatsächlich in den ganzen Behörden der Republik rum. Mal sehen, was ich da noch so an Ideen sammeln kann ... “

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