Politik

Kurz vor dem Absturz – aber noch nicht verloren

Die erneute Eskalation des Konflikts zwischen Israel und dem Iran gefährdet die gesamte Region. Jetzt braucht es akutes Krisenmanagement, meint unser Korrespondent Tobias Peter.

  •  Foto: Leo Correa/AP/dpa/Leo Correa

     Foto: Leo Correa/AP/dpa/Leo Correa

Der Klügere gibt nach. So heißt es immer. Israels Premier Benjamin Netanjahu hätte sich als der klügste Mensch der ganzen Welt erweisen können, wenn er auf den iranischen Raketenangriff nicht mit einem Gegenschlag geantwortet hätte. Die israelische Regierung war durch die Art ihrer Kriegsführung in Gaza international stark in die Defensive geraten. Die iranischen Raketen- und Drohnenangriffe – Vergeltung für einen israelischen Schlag gegen die iranische Botschaft in Syrien – hatten Israel in die Position gebracht, wieder mehr Unterstützung zu finden. Die Stärke, nun nicht mit einem Gegenschlag zu antworten, hatte Netanjahu offenbar nicht.

Die Art, wie der mutmaßliche israelische Angriff dimensioniert war, deutet aber zumindest darauf hin, dass Netanjahu zwar die israelische Fähigkeit zum Gegenschlag demonstrieren, aber zugleich die große Eskalation vermeiden wollte. Es gibt begründete Hoffnung, dass die Lage nicht außer Kontrolle gerät.

Der Angriff vom 7. Oktober

Eines darf nie vergessen werden: Es war der brutale, menschenverachtende Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres, der das Land tief verletzt und die gesamte Region erneut in Unruhe gebracht hat. Für Deutschland war – nicht nur aufgrund der eigenen Geschichte – mit Recht sofort klar, dass es an der Seite Israels steht. Höchste Priorität hatte für die deutsche Nahostpolitik, eng abgestimmt mit US-Präsident Joe Biden, von Anfang an aber auch ein Ziel: einen Flächenbrand zu vermeiden. Er wäre eine Katastrophe für die Menschen in Israel und den Nachbarländern und käme mit unkalkulierbaren Risiken für den Rest der Welt einher.

Macht sich die deutsche Nahostpolitik zu klein, indem Deutschland zuallererst als kleiner Bruder der USA agiert? Nein. Es ist eine realistische Sicht, dass die deutschen Möglichkeiten begrenzt sind. Die enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten ist logisch und bietet die besten Erfolgsaussichten. Doch was passiert, wenn statt dem berechenbaren Biden im nächsten Jahr der unkalkulierbare Donald Trump im Weißen Haus sitzen sollte? Es gibt auf diese Frage keine beruhigende Antwort. Ein kleiner Bruder wird nicht schon dadurch stark, dass der große aus dem gemeinsamen Haus auszieht.

Richtiger Kurs

Der Ansatz, den Deutschland mit den USA verfolgt, ist jedenfalls richtig. Joe Biden und Olaf Scholz haben durch schnelle Besuche direkt nach dem Terror der Hamas versucht, Netanjahu auf einem Kurs zu halten, bei dem sich Israel nicht selbst schadet. Das ist unterm Strich zwar nicht gelungen – aber niemand weiß, wie Netanjahus Reaktion ohne diese Versuche ausgesehen hätte.

An der Kritik, dass die deutsche Iran-Politik in den vergangenen Jahren härter hätte ausfallen können, ist etwas dran. Die Linie muss überprüft werden. Gleichzeitig gilt aber: Es darf jetzt nicht in erster Linie um Symbole gehen, sondern um Maßnahmen, die tatsächlich wirken. Und: Im internationalen Konzert darf es durchaus auch Unterschiede in der Härte des Umgangs mit einzelnen Ländern geben – wenn das gut abgestimmt ist und es um den Erhalt von Gesprächskanälen geht.

Krisenmanagement, das die Region vor dem Absturz bewahrt – darum geht es akut, um sonst nichts. Langfristig braucht es Glück und die Bereitschaft zur Arbeit für bessere Perspektiven. Wird das Regime im Iran früher oder später stürzen? Die Welt kann nur darauf hoffen. Finden sich Israel und die Palästinenser zu einer Zwei-Staaten-Lösung bereit? Dauerhaft ist Frieden nicht anders zu erreichen. Dafür bräuchte es aber Handelnde, die so viel Mut und menschliche Größe haben wie der frühere, ermordete israelische Premier Jitzchak Rabin. Davon ist der Nahe Osten aber weit entfernt. Es wäre schon viel gewonnen, wenn alle etwas klüger agierten.

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