Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken haben – jeder für sich – die beiden Hände so ineinander verschränkt, dass es fast ein bisschen aussieht, als wollten sie beten. Markus Söder macht einige Notizen auf dem Blatt das vor ihm liegt. Das Wort hat Merz.
Er verkündet, dass die Spitzen von CDU, CSU und SPD sich auf ein Sondierungspapier verständigt haben. Und dass es nun schnell Koalitionsverhandlungen geben soll. Der erste Schritt zu einer neuen großen Koalition ist also getan. Sie wäre – angesichts des Ergebnisses der Bundestagswahl – die kleinste große Koalition aller Zeiten.
Dann wird es inhaltlich. Merz nennt als zentrale Themen Migration, Finanzen sowie Arbeitsmarkt und Wirtschaft. „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen“, sagt der CDU-Chef. „Wir wollen dazu alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die illegale Migration insgesamt zu reduzieren.“
Worum lange gerungen wurde
Hier wird deutlich: Es sind Formulierungen, um die lange gerungen worden sein dürfte. Merz hat vor der Wahl Zurückweisungen versprochen, die SPD die Einhaltung des Europarechts. Die Worte „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ sind für sie also entscheidend. Man darf gespannt auf die Ausarbeitung in einem späteren Koalitionsvertrag sein.
Das elf Seiten umfassende Sondierungspapier enthält für alle Beteiligten Siege und Niederlagen. Jeder hebt hervor, was er durchgesetzt hat. Für Merz sind die anvisierten Verschärfungen beim Thema Migration wichtig. Das Ziel der „Begrenzung“ soll wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll ausgesetzt werden. Merz verspricht mit Blick auf die irreguläre Migration, die Zahlen in kurzer Zeit „drastisch nach unten zu bringen“. Er wird sich daran messen lassen müssen.
CSU-Chef Markus Söder berichtet stolz, dass die Mütterrente noch einmal ausgeweitet wird – ein teures Projekt, von dem so ziemlich alle Rentenexperten abraten. Auch eine Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie wollte die CSU. Und jetzt soll sie kommen.
Die SPD hat ihren größten Erfolg in den Sondierungsgesprächen schon einige Tage zuvor errungen. Union und SPD wollen nicht nur Verteidigungsausgaben zu einem großen Teil von den Regeln der Schuldenbremse ausnehmen. Dazu soll noch ein Sondervermögen – also zusätzliche Schulden – von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur aufgenommen werden. Das bedeutet auch: Geld für das Militär und für Investitionen muss nicht auf Kosten des Sozialen zusammengespart werden. SPD-Chefin Saskia Esken betont das.
Merz und Lars Klingbeil, als Partei- und Fraktionschef der mächtigste Verhandler in der SPD, stecken während der Pressekonferenz schon mal die Köpfe zusammen. Sie lächeln sich offensiv zu. Klingbeil betont, es sei ein gutes Zeichen, dass es gelungen sei, in so kurzer Zeit Brücken zu bauen. Doch sind diese Brücken tatsächlich stabil?
Genug Geld ist die Geschäftsgrundlage
In Koalitionsverhandlungen müssen einige Formulierungen aus dem Sondierungspapier noch konkret gefüllt werden. Das kann – in der Rentenpolitik, beim Bürgergeld und anderen Themen noch anstrengend werden. Das ist aber normal. In Sondierungen wird geklärt, ob genug Gemeinsamkeiten für Koalitionsverhandlungen vorhanden sind.
Das eigentliche Problem dürfte eher die Frage sein, ob es gelingt, die angestrebten Änderungen in Sachen Schuldenbremse und Sondervermögen noch schnell zu beschließen, bevor sich der neue Bundestag konstituiert. Dazu braucht es auch die Grünen – im neuen Bundestag ist der Weg zur Zwei-Drittel-Mehrheit noch komplizierter. Gelingt das nicht, fehlt Schwarz-Rot das Geld. Und damit die Geschäftsgrundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
„Ich hoffe, dass die Grünen zustimmen“, sagt Merz. Und dass es jetzt noch einmal intensive Gespräche geben werde. Klar ist: Diese Gespräche sind jetzt mindestens so wichtig wie die eigentlichen Koalitionsgespräche mit der SPD. Gehen sie schief, hilft den schwarz-roten Verhandlern womöglich nur noch Beten.