Panorama

Das Haus, wo die Zitronen blühn‘ ODER Papayas und Piranhas aus Klein-Tettau

Irgendwo im Nirgendwo im Fränkischen Wald bei Coburg steht das Tropenhaus Klein-Eden. Das ist auf den ersten Blick ein Gewächshaus, in dem geforscht wird. Zugleich werden hier auch tropische Früchte angebaut und Fische gezüchtet. Ein Besuch mit einem Foodscout.

  • Schottische Hochlandrinder vor dem Tropenhaus Klein Eden.Foto: Klein Eden/Wasserbäch

    Schottische Hochlandrinder vor dem Tropenhaus Klein Eden.Foto: Klein Eden/Wasserbäch

„Fränkische Highlands“, nennt Alexander Herrmann die Gegend, in der nicht viel ist außer Natur. Tatsächlich grasen hier am Wegesrand schottische Hochlandrinder – passend zur Ortsbeschreibung des Spitzenkochs, der im Fernsehen sehr präsent ist. Doch in erster Linie ist Herrmann Unternehmer: Er führt das Posthotel in Wirsberg mit dem Sternerestaurant Aura sowie Lokale in Nürnberg.

Die Küchenbrigade seines Sternerestaurants Aura mit samt seinem Zukunftslabor Anima fährt regelmäßig 60 Kilometer, um zu schauen, was im Gewächshaus mit dem Namen Tropenhaus Klein Eden sprießt und gedeiht. Hier im oberfränkischen in Kleintettau, einem Dorf mit 800 Einwohnern, arbeiten 1500 Menschen bei Heinz-Glas. Das Unternehmen stellt seit Jahrhunderten, nämlich seit 1622, Glas her: Flacons für die großen Duftmarken der Welt, Tiegel für sündhaft teure Cremes. Wenn die Mitarbeiter der französischen Kosmetikmarken ihrem fränkischen Glasproduzenten einen Besuch abstatten, gibt es auch immer eine Führung durch das Tropenhaus.

Wo Glas mit sehr hohem Energieaufwand produziert wird, fällt als Abfallprodukt Wärme an. Was tun damit? Die Gehwege beheizen wie etwa im isländischen Reykjavik, damit man sich das Schneeschippen im Winter sparen kann? Oder eine Krokodilzuchtanlage bauen?

Babaja aus der bayerischen Walachei

Babaja aus der bayerischen Walachei

Am Ende wählte man das Eden Project in Cornwall zum Vorbild und baute das Tropenhaus Klein-Eden. In St. Austell – mitten in der Rosamunde-Pilcher-Grafschaft – an Großbritanniens Südküste gibt es das weltweit größte Gewächshaus. Die Geschichte des Eden Projects basiert auf der Idee des englischen Archäologen und Gartenliebhabers Tim Smit. Ein verrückter Visionär, der früher Schallplatten mit Barry Manilow produzierte und die große Gartenanlage „Lost Gardens of Heligan“ wieder zum Leben erweckte. Inzwischen kommen über eine Million Besucher jährlich ins Eden Project.

Davon können sie hier in der „Walachei von Bayern“, wie Ralf Schmitt die Gegend bezeichnet, gut einen Kilometer entfernt von Thüringen, nur träumen. Schmitt, 48 Jahre alt, war knapp zehn Jahre Leiter des Tropenhauses. Nun hat seine Nachfolgerin Melanie Hohner übernommen. Die 46-Jährige hat zuvor in Irland an einer Baumschule als General Manager gearbeitet, war eine Weile an der Loire in Frankreich.

Jetzt also im Tropenhaus Klein-Eden, indem es unwissenschaftlich und kurz zusammengefasst darum geht: Das Wasser kommt mit 40 Grad im Gewächshaus an und fließt mit etwa 20 Grad zurück in die Glashütte. Was bleibt, ist Wärme, die es sinnvoll zu nutzen gilt. Schmitt berichtet von den Anfängen, wie man davon träumte, einen Papayakern – fränkisch „Babaja“ – in die Erde zu stecken, um dann bald Früchte zu ernten. Die Realität erwies sich als komplizierter. So gab es viele Misserfolge im Laufe dieses Pilotprojektes, bei dem es darum geht, subtropische und tropische Früchte im nicht gerade sonnenverwöhnten Frankenwald anzubauen.

Die erste große Herausforderung für Schmitt war, die Pflanzen überhaupt nach Franken zu bekommen. Er kontaktierte Baumschulen in Asien, bestellte per Luftfracht. „Nach der Quarantänezeit sind dir dann 95 von 100 Pflanzen auch mal verreckt“, erzählt Schmitt.

Inzwischen schafft er es, auf den gut 2600 Quadratmetern 220 verschiedene Pflanzen anzubauen. Beim Besuch in Kleintettau hat es draußen unter zehn Grad, im Gewächshaus sind es 25. Es ist ein Haus, in dem heute Zitronenbäume blühen, in dem Guaven, Carambolen, Surinamkirschen, Drachenfrucht, Galgant und Fingerlimetten gedeihen. Das klingt nach kleinem Paradies. Doch dahinter steckt nicht bloß Mutter Natur, sondern enormes Fachwissen, für das mindestens ein Grundstudium der Biologie nötig ist.

Die Tröpfchenbewässerung ist zum Beispiel so ein Thema, das Schmitt beschäftigt, oder auch die Sternfrucht im Obst-Spalierbau, über die Schmitt sagt: „Wir schaffen hier zwei, drei Blütenansätze im Jahr.“ So wurden vergangenes Jahr 250 Kilogramm Sternfrüchte geerntet. Schmitts Arbeit trägt buchstäblich Früchte.

Für diese hegt der bärtige Joshi Oswald großes Interesse. Oswald ist Foodscout. Das ist eine Position, die sich kaum ein Restaurant derzeit in Deutschland leistet. Für das Restaurant Aura und vor allem das angeschlossene Zukunftslabor Anima sucht er nach regionalen Produkten aus Franken. Er überlegt, was sich mit ihnen anstellen lässt und welche neuen Geschmackswelten sich erschließen, wenn man mit ihnen experimentiert und etwa Papayas fermentiert. Insofern bedeutet die Beschränkung auf regionale Produkte auch keinesfalls eine geschmackliche Limitierung.

Alles steht in einem Sinnzusammenhang

Alles steht in einen Sinnzusammenhang

Oswald ist gelernter Koch, während der Pandemie hat er quasi umgeschult und wurde zum Foodscout in Wirsberg. Er sucht immer wieder nach Produkten, die in Franken nachhaltig angebaut werden. So kam Oswald auch ins Tropenhaus. Inzwischen ist er ein stetiger Abnehmer der exotischen Waren. „Die Calamondin legen wir wie Salzzitronen ein“, erklärt Oswald, wie er mit der Zitrusfrucht, einer Mischung aus Kumquat und Mandarine, umgeht. Auch Kumquats hat er im „Future Lab“ in Wirsberg eingelegt, und er verarbeitet Surinamkirschen fürs Dessert.

In Wasserbecken schwimmen unter anderem Fische namens Pacu. Es sind Verwandte der Piranhas und eigentlich in den Stromgebieten des Amazonas heimisch. Sie ernähren sich – Überraschung – von Pflanzen. „Die Becken sind unser aquaponischer Filter“, so Schmitt. Sehr vereinfacht ausgedrückt: „Es ist wie ein großes Aquarium.“ Ein Teil des Wassers wird wiederum zum Gießen verwendet – inklusive Dünger in Form der Ausscheidungen der Fische.

Die Grundidee ist es, auch nachhaltig Fische zu züchten. Bei den Pacus, einer Art Salmler, handelt es sich um einen Edelfisch, der zum Verzehr geeignet ist. „Wir haben damit auch schon herumprobiert“, sagt Foodscout Oswald. Um ein Lebensmittel aber fest auf der Menükarte zu haben, braucht es eine bestimmte, vor allem größere Menge. „Der Pacu ist der Karpfen des Amazonas, er hat Y-Gräten“, so Schmitt. Er weiß auch: „Damit kann nicht jeder Koch arbeiten.“

Unterdessen befasst sich das erste Projekt der neuen Chefin Melanie Hohner mit Versuchen mit Papaya-Pflanzen, die sie zusammen mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf durchführt. Untersucht wird, wie die Bodenwärme sein muss, damit die Pflanzen gut wachsen. „Das ist sehr spannend“, erklärt Hohner. „Zu diesen Kulturen gibt es kaum Referenzangaben. In den Tropen wird viel gedüngt und gegossen. Wir wollen ressourcenschonend arbeiten.“

Das Tropenhaus soll aber auch Vorbildfunktion haben, sodass andere Firmen ähnliches umsetzten und ihre Abwärme so nutzen, damit etwas mit Nachhall entsteht.

„Man kann natürlich auch Tomaten oder Gurken anbauen“, so Hohner. „Wir müssen hier auch im Sommer Wärme von Heinz-Glas abnehmen, da das Wasser ja ganzjährig zurück fließt.“ Die Fischbecken etwa verbrauchen auch in den Sommermonaten Wärme. Die große Herausforderung ist es, einen wirtschaftlich produzierenden Betrieb am Laufen zu halten und zugleich wissenschaftlich zu forschen. Das bedeutet, am Ende muss Gewinn rausspringen.

Alles soll sich in einen Sinnzusammenhang fügen, auch die Rinder am Straßenrand. Die Galloway-Zucht ist nicht nur ein abseitiges Hobby des Chefs von Heinz-Glas. Die schottischen Hochlandrinder kamen Anfang der 80er Jahre in den Fränkischen Wald. Es sind keine Milchkühe, sie sind zum Beweiden da. So werden sämtliche Stromtrassen des Energieversorgers Eon im Fränkischen Wald von den Heinz’schen Rindern vor Verbuschung geschützt. Und am Ende geht es um die Wurst: die Kleintettauer-Hochlandrinderwurst.

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