Panorama

Randale im Problemstadtteil: 30 Anwohner prügeln sich krankenhausreif

Am Sonntagsabend rückt die Polizei mit einem Großaufgebot im  Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck an. Bis zu 30 Menschen schlagen brutal aufeinander ein, mehrere werden schwer verletzt. Was ist in dem Problemstadtteil geschehen? Eine Rekonstruktion.

  • Rettungskräfte kümmern sich um eine Person. Bei einer Auseinandersetzung im Stadtteil Bismarck sind am Abend mehrere Menschen schwer verletzt worden. „Wir gehen davon aus, dass auch Waffen zum Einsatz gekommen sind“, sagt ein Sprecher der Polizei am Abend.Foto: Justin Brosch/dpa

    Rettungskräfte kümmern sich um eine Person. Bei einer Auseinandersetzung im Stadtteil Bismarck sind am Abend mehrere Menschen schwer verletzt worden. „Wir gehen davon aus, dass auch Waffen zum Einsatz gekommen sind“, sagt ein Sprecher der Polizei am Abend.Foto: Justin Brosch/dpa

Am Sonntagabend (28. September) gegen 20 Uhr ist es mal wieder so weit. Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot im Gelsenkirchener Problemstadtteil Bismarck an.

 Bis zu 30 Menschen sind aneinandergeraten. Viel Blut fließt an diesem Abend. Mindestens fünf Personen werden schwer, vier davon lebensgefährlich verletzt. Sie schweben weiter in Lebensgefahr. Ein 56-Jähriger ist intwischen im Krankenhaus gestorben. Er habe tödliche Stichverletzungen erlitten, teilen Polizei und Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mit.

Gibt es demnächst eine Racheaktion? Schreit jetzt Blut nach Blut?

Nach derzeitigen Erkenntnissen der örtlichen Polizeidirektion und der Staatsanwaltschaft sind bei der lokalen Randale Messer, Elektroschocker und Baseballschläger zum Einsatz gekommen. Die Polizei spricht von einer „Tumultlage“ zwischen 20 und 30 Personen.

Die Beamten nehmen drei männliche Tatverdächtige im Alter von 16, 29 und 52 Jahren und drei weibliche Tatverdächtige im Alter von 25, 28 und 50 Jahren vor Ort vorläufig fest. Eine Mordkommission wird eingerichtet.

Tumult in der „Stadt der 1000 Feuer“

Die Einsatzkräfte sperren den Tatort an der Pommernstraße im Stadtteil Bismarck weitläufig ab, um Spuren zu sichern und Zeugen zu vernehmen. Auch ein Polizeihubschrauber ist vor Ort.

Worum es in der Auseinandersetzung ging, ist noch immer unklar. Aber was ist schon klar in der „Stadt der 1000 Feuer“, wie die Bewohner ihre Stadt im Ruhrgebiet einst stolz nannten. Lang, lang ist’s her.

Deutschlands ärmste Großstadt

Willkommen in Deutschlands ärmster Großstadt. Durch den Bergbau ist Gelsenkirchen groß geworden – und dann tief, sehr tief gestürzt. Armut und Arbeitslosigkeit prägen das Leben vieler Menschen. Der Niedergang macht der Politik kaum lösbare Probleme.

Bewohner der bettelarmen Kommune erzählen von ihrem „Kontostand“: „Gelsenkirchen ist am ärmsten dran“ oder auch „Arm, ärmer, Gelsenkirchen“, heißt es dann.

Im Stadtteil Gelsenkirchen-Bismarck leben rund 16.500 Einwohner. Der Ausländeranteil in Bismarck beträgt 26,8 Prozent (Gelsenkirchener Durchschnitt: 26 Prozent), davon rund 3400 Ausländer überwiegend türkischer Nationalität, wie es auf der Website der offiziellen „Regionalkunde Ruhrgebiet“ heißt.

Aufstieg, Abstieg, Niedergang einer Zechenstadt

Mit der Stilllegung des letzten Bergwerks entstand ein Verlust von 4000 Arbeitsplätzen. Die umgebenden Bergarbeiter-Siedlungen verloren ihre Funktion ebenso wie die Infrastruktureinrichtungen rund um die Zeche, etwa die Bergbau-Berufsschule, das Gesundheitshaus, die Zechenbahn. Die Arbeitslosigkeit stieg in Bismarck zeitweise auf über 20 Prozent. Besonders betroffen waren die Jugendlichen.

Der heutige Name des Stadtteils geht auf die Zeche Graf Bismarck und ihre um 1870 gebauten Zechenkolonien zurück, die nach dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck benannt war.

50.000 Gelsenkirchener arbeiteten einst auf den Zechen

150 Jahre Bergbaugeschichte hat das Ruhrgebiet hinter sich gelassen. Allein in Gelsenkirchen gab es zu Höchstzeiten 14 Zechen, 70 Schächte und mehr Förder- als Kirchtürme. Arbeiter zogen von überall her, aus Bauernschaften wurden Dörfer, und die Dörfer explodierten zur Großstadt.

Die „Kathedralen der Arbeit“ brachten nach dem Zweiten Weltkrieg 50.000 Gelsenkirchener in Lohn und Brot. Sie brachten Geld in die Region und noch mehr Industrie.

Die Zeche Graf Bismarck im Stadtteil Bismarck wurde im Jahr 1966 stillgelegt. Nach dem fördertechnischen Zusammenschluss der Zeche Consolidation mit der Zeche Hugo im Jahr 1993 wurde das letzte verbliebene Bergwerk bis 1995 schrittweise aufgegeben.

15,8 Prozent Arbeitslose

Davon und vom Sterben der stahlverarbeitenden Industrie hat sich die knapp 270.000-Einwohner-Stadt bis heute nicht erholt.

Im Juni 2024 betrug die Arbeitslosenquote in Gelsenkirchen 12,3 Prozent. Im Januar 2025 stieg sie auf 15,8 Prozent, davon 80 Prozent Langzeitarbeitslose. Gelsenkirchen hat die höchste Bürgergeld-Quote in Deutschland: Fast jede vierte erwerbsfähige Person bezieht Bürgergeld.

Weg mit den „Schrott-Immobilien“

Im Juni 2025 bekam die Stadt einen 15 Millionen-Förderbescheid vom Land Nordrhein-Westfalen. Das Geld ist für den Rückbau von Problem-Immobilien. Und davon gibt es gerade in Bismarck mehr als genug. Die Häuser werden oft für den Missbrauch von Bürgergeld genutzt.

Mehrere stadtbekannte „Schrott-Immobilien“ im Ahlmannshof in Bismarck wurden von der Stadt bereits aufgekauft und abgerissen. Doch das reicht nicht. Eine weitere Häuserreihe in dem Problemviertel soll jetzt weg. Seit mehreren Jahren stehen die verwahrlosten Gebäude leer. Vorher lebten dort Menschen teilweise unter schlimmen Bedingungen – ein Geschäftsmodell krimineller Clans.

Jugendkriminalität, Drogenhandel, Müll und Lärm

Dass die AFD am Sonntag (28. September) in die Stichwahl um das Bürgermeisteramt eingezogen ist – und verlor – hat vor allem mit Problemen wie Jugendkriminalität, Drogenhandel, Müll und Lärm zu tun.

Probleme, die mit einer „gefährlichen Überfremdung“ des Stadtteils Bismarck in Verbindung gebracht werden, wie die Regionalzeitung „WAZ“ schreibt. Hervorgerufen wird dieser Gedanke durch den Zugang von Menschen aus Südosteuropa und anderen Länder nach Gelsenkirchen.

Aufgeheizte Stimmung und Schuldzuweisungen

Die Schuldzuweisungen, heißt es in dem „WAZ“-Text, „sollen wohl gar nicht so realitätsfern sein, so berichtet die Polizei, der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) und lokale Politiker“.

Und weiter: „Nach ihnen würden sich Menschen mit Migrationshintergrund dort nicht angemessen benehmen. Doch in der aufgeladenen Stimmung, werden die oben genannten Probleme oft verallgemeinert ‚den Ausländern‘ zugeschrieben. Die Realität ist komplexer, aber die Wut und Verzweiflung der Bürger nehmen so viel Raum ein, dass differenzierte Betrachtungen sehr schwerfallen.“

Anwohner erzählten, dass gewaltbereite Jugendliche und junge Männer mit Migrationshintergrund ein großes Problem seien. Drogenhändler agierten ganz offen auf der großen Bismarckstraße. Eltern berichteten von Übergriffen auf ihre Kinder, von Beleidigungen und Bedrohungen durch Jugendliche. „Die Lage ist ernst und die Bevölkerung fordert, dass endlich gehandelt wird“, so die „WAZ“.

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