Bietigheim-Bissingen. Der 24. Februar war für Dennis Mayer kein Tag wie alle anderen. „Meine Mutter kam um 5 Uhr morgens in mein Zimmer und weckte mich. Dann sagte sie mir, dass in der Ukraine jetzt Krieg herrsche. Ich lag geschockt im Bett und habe keinen Ton mehr rausbekommen.“ Für den 21-jährigen ukrainischen Berufsschüler war diese Nachricht wie ein Schlag ins Gesicht. „Ich musste ständig an den Krieg denken und an die Menschen. In der Schule konnte ich mich gar nicht mehr konzentrieren“, verrät der gebürtige Bietigheimer. Der Gedanke, sein Heimatland zu unterstützen, ließ ihn nicht mehr los. Mit Beginn der Faschingsferien schmiedete er einen Plan. Er beschloss, Spenden zu sammeln. Weil er jedoch nicht genügend Platz zur Verfügung hatte, wurde er erfinderisch. „Ich fragte meine Nachbarn, ob es für sie in Ordnung wäre, die Spenden im Waschkeller zu sammeln.“ Zu seiner Erleichterung waren alle einverstanden.
Auf Facebook machte er am Sonntagabend dann einen Spendenaufruf. Er sammelte unter anderem Hygieneartikel, Lebensmittel und Bekleidung. „Am Montagnachmittag war schon der ganze Raum bis oben voll, es war überragend. Es gibt so ein breites Spektrum an Leuten, die helfen wollen. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken. Sogar lokale Unternehmen wie etwa Apotheken und Drogeriemärkte haben sich gemeldet“, sagt Mayer begeistert.
Um die Spenden zu transportieren, mietete der Bietigheimer einen großen Anhänger. Am Dienstag fuhr er mit seinen zwei Brüdern und zwei Helfern die gesammelten Spenden zum polnisch-ukrainischen Grenzübergang Korczowa-Krakovez. Von dort gingen die Spenden ins ukrainische Lityn. „Wir fahren dort dreimal im Jahr hin und haben gute Kontakte. Leute, die im Rathaus von Lityn arbeiten, haben sich um einen Transporter gekümmert. Daraufhin haben wir uns an der Grenze getroffen und es wurde alles umgeladen.“ Eine zweite Spendenaktion möchte er nicht ausschließen: „Es kann sein, dass wir nochmal hinfahren.“
Zwar ist Dennis Mayer in Deutschland geboren, aber es verbindet ihn vieles mit seiner ursprünglichen Heimat. Seine Familie hat in der ukrainischen Siedlung Lityn im Nordwesten der ukrainischen Verwaltungsregion Winnyzja ein Haus gebaut, erzählt er. Zuletzt besuchte er den Ort im vergangenen Sommer. Inzwischen sei die Lage dort kritisch. „Kriegssirenen sind hin und wieder zu hören. In einer Nachbarstadt schlug sogar eine Rakete ein. Und Helikopter flogen über die Stadt.“
Es herrsche Angst: „Die Menschen bleiben zu Hause und sobald die Sirenen losgehen, suchen sie Zuflucht in Luftschutzbunkern.“ Seinen Verwandten, die zum Beispiel in Odessa, Kiew und Lityn leben, gehe es bisher den Umständen entsprechend gut. Er sei mit ihnen in Kontakt. „Sie sind über Messenger-Dienste wie Whatsapp erreichbar.“ Was Mayer mitbekommen hat: Saboteure seien unterwegs. „Mit Spraydosen markieren sie auf den Straßen Ziele, die bombardiert werden sollen.“
Wie Mayer berichtet, habe er die Möglichkeit, die russischen Nachrichten zu verfolgen, denn seine Familie habe Zugang zum russischen Fernsehen. Es seien Informationen verbreitet worden, die gar nicht stimmten, sagt er. „In den Nachrichten wurde zum Beispiel erzählt, dass innerhalb von zwei Tagen Kiew eingenommen worden sei. Außerdem haben russische Soldaten damit gerechnet, dass sie als Retter gefeiert werden, aber dem war nicht so. Die Zivilbevölkerung hat enormen Widerstand geleistet.“
Mayer berichtet noch von ukrainischen Verwandten, die in Russland leben. „Die sind natürlich auch gegen all das, was gerade passiert und unterstützen es nicht. Aber wenn die Leute in Russland auf die Straßen gehen, um zu demonstrieren, werden sie verhaftet“, betont er und zeigt Bilder von russischen Kindern, die es versucht hatten und festgenommen wurden. Die Ungewissheit, wie es in der Ukraine weitergehen soll, macht Mayer zu schaffen: „Ich mache mir um die ganze Bevölkerung Sorgen und möchte, dass der Krieg so schnell wie möglich endet.“ Er wünscht sich: „Alle sollen frei leben können!“
Das einzig Beruhigende für ihn: Der Zusammenhalt seiner Landsleute sei enorm. „Ich bewundere den Widerstand der Ukrainer gegen die Diktatur.“ Mayer vergleicht den Ukraine-Konflikt mit der Geschichte von David und Goliath.
Besonders traurig findet Mayer den Raketenangriff auf das Holocaust-Mahnmal Babyn Jar. Putin nutze als Vorwand für den Krieg, dass er die ukrainische Bevölkerung entnazifizieren und von der Regierung befreien wolle. „Das ist recht paradox, wenn man bedenkt, dass der Präsident der Ukraine jüdischer Herkunft ist“, so der 21-Jährige. Auch um die durch Raketen zerstörte Universitätsstadt Charkiw trauert der junge Mann sehr. „Es war eine sehr schöne Stadt, mit den meisten Universitäten im Land und jetzt sind dort nur noch Ruinen zu sehen.“
Der Krieg sei aber keine Überraschung gewesen, findet Mayer: „Man hat gehofft, dass es nicht so weit kommt, aber zugleich hat man auch damit gerechnet.“ Am allerwichtigsten sei es jetzt, den Optimismus zu wahren. Er hoffe, „dass Unterstützung aus dem Westen kommt“.

