Panorama

„Krankes System“: Warum die Gewalt an Schulen immer mehr zunimmt

Körperverletzungen, Bedrohungen und Raub: Das Spektrum von Straftaten an Schulen ist breit. Gewalt unter Schülern ist längst kein Einzelfall mehr. Viele Lehrkräfte machen diese Beobachtung, wie das aktuelle Deutsche Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung zeigt.

  • Wachsende Gewalt an deutschen Schulen: „Wir sehen in den Ergebnissen die Momentaufnahme eines kranken Systems“ (gestellte Szene).Foto: Imago/Gerhard Leber

    Wachsende Gewalt an deutschen Schulen: „Wir sehen in den Ergebnissen die Momentaufnahme eines kranken Systems“ (gestellte Szene).Foto: Imago/Gerhard Leber

Schläge, Tritte, sexuelle Übergriffe: Aus Schulen in Deutschland werden mehr Fälle von Gewalt bekannt. Den Landeskriminalämtern und Bildungsministerien wurden Tausende solcher Vorfälle gemeldet.

Burnout- und Stressrisiko von Lehrern steigt

Die repräsentative Studie zeigt laut Stiftung, dass Gewalt an der eigenen Schule auch das Burnout- und Stressrisiko von Lehrern deutlich erhöht. So gab mit 36 Prozent mehr als ein Drittel der Befragten an, sich mehrmals pro Woche emotional erschöpft zu fühlen. Das gelte vor allem für jüngere und weibliche Lehrkräfte sowie für Grundschullehrer.

Den dringendsten Handlungsbedarf sehen die Lehrer laut Umfrage bei der Behebung des Personalmangels (41 Prozent), dicht gefolgt von Investitionen in marode Schulgebäude und in die technische und digitale Ausstattung (35 Prozent). Als größte Herausforderung gaben die Befragten das Verhalten der Schüler (35 Prozent) und den Umgang mit heterogenen Klassen (33 Prozent) an.

"Momentaufnahme eines kranken Systems"

„Wir sehen in den Ergebnissen die Momentaufnahme eines kranken Systems“, erklärte Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert-Bosch-Stiftung. Lehrer müssten seit langer Zeit „die Folgen des massiven Personalmangels ausgleichen und immer neue Belastungen bewältigen.“ Dies führe dazu, dass bereits Berufseinsteiger den Schuldienst gar nicht erst anträten oder schnell wieder verlassen wollten.

Ganz grundsätzlich zeigt die Umfrage aber auch: Obwohl die Mehrheit (75 Prozent) der Lehrer der Umfrage zufolge zufrieden mit ihrem Beruf und ihren Schulen ist, würden 27 Prozent den Beruf wechseln, wenn sie könnten.

Großer Handlungsdruck in der Bildung

Mit Blick auf die Umfrage sagt die Vorsitzende des Philologenverbandes Susanne Lin-Klitzing: „Es ist erschütternd, dass so viele Lehrkräfte im Alltag verschiedene Formen von Gewalt erleben müssen.“ Das wachsende Ausmaß von Gewalt an Schulen, der Lehrkräftemangel und der marode Zustand vieler Schulen führten zu zusätzlichem Stress für alle. Deshalb müsse in die Schulen investiert werden.

Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nennt die Ergebnisse alarmierend. Es mache deutlich, wie groß mittlerweile der Handlungsdruck in der Bildung sei.

Mit dem Deutschen Schulbarometer lässt die Robert-Bosch-Stiftung seit 2019 regelmäßig repräsentative Umfragen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland erheben. Für die aktuelle Ausgabe wurden vom 13. November bis zum 3. Dezember 2023 insgesamt 1608 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt.

Gewalt an Schulen: Daten, Fakten, Zahlen

Gleich in mehreren Bundesländern ist die Zahl erfasster Gewaltdelikte im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie gestiegen – mitunter deutlich.

Nur wenige Fälle von Mord und Totschlag

Trotz vieler Polizei-Einsätze kommen Fälle wie der tödliche Messerangriff auf eine Schülerin nahe Heidelberg in den Statistiken selten vor. Dort wird ein 18-Jähriger beschuldigt, im Januar an einem Gymnasium in St. Leon-Rot auf die Gleichaltrige eingestochen zu haben.

Vielzahl an Gründen für Gewalt und Verrohung

Die Gründe, dass Schüler Gewalt ausübten oder androhten, sind nach Einschätzung des Brandenburger Bildungsministeriums vielschichtig. Dazu zählten Faktoren wie „Defizite in der Selbststeuerung und geringes Selbstwertgefühl, aber auch familiäre und soziale Ursachen wie Gewalterfahrungen in der Familie oder Akzeptanz sowie soziale Normen und Werte und die jeweilige Akzeptanz in der Gruppe der Gleichaltrigen“. Auch Gewaltinhalte in Medien und auf Online-Plattformen könnten aggressives Verhalten begünstigen.

Mehr Waffen in Schulen als früher

Nach Einschätzung des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands haben viele Lehrkräfte das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Gewalt zugenommen hat. „Wir haben bemerkt, dass mehr Waffen zur Schule mitgenommen werden als früher“, sagt der Verbandsvorsitzende Sven Winkler.

Dabei handelt es sich vor allem um Messer und sogenannte Anscheinswaffen. Das sind Waffen, die echten Schusswaffen täuschend ähnlich sehen. Ob Kinder und Jugendliche Waffen dabeihaben, weil sie gewaltbereit sind, oder weil sie Angst haben und diese zur Selbstverteidigung nutzen wollten, sei unklar (mit AFP/dpa-Agenturmaterial).

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