Stuttgart

Leitartikel: Vorrang für das Schülerwohl

Die Schulen stehen vor schwierigen Jahren.

Viele Familien nutzen die Pfingstferien als Pause, bevor in der Schule der Endspurt vor den Sommerferien beginnt. Dann legen sich viele Schüler, Lehrer und Eltern für gute Noten noch einmal besonders ins Zeug. Zunächst aber stehen Durchschnaufen, Entspannen und Spaß haben auf dem Plan. Nach dem, was Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) angekündigt hat, ist es ratsam, die Unterbrechung zum Krafttanken zu nutzen. Denn auch wenn die Pandemie allen am Schulleben Beteiligten bereits besondere Anstrengungen abverlangt hat, ist die nächste Stressphase vorprogrammiert. Leider wird sie länger dauern als die letzte.

Unter den Geflüchteten aus der Ukraine und Krisengebieten in aller Welt, die derzeit nach Deutschland kommen, sind viele Kinder und Jugendliche. Deshalb wächst die Schülerzahl vor allem, aber nicht nur an den Grundschulen im Rekordtempo. Dass diese Dynamik auf den ohnehin grassierenden Lehrkräftemangel und die bekannten Schwächen des Schulsystems bei der Vermittlung von Lese-, Schreib- und Rechenkenntnissen stößt, macht die Situation besonders schwierig.

Eine einfache Lösung, die diese Probleme auf absehbare Zeit beseitigen könnte, gibt es nicht. Erstens gibt es generell zu wenig junge Leute, die in allen Behörden und Unternehmen händeringend als Nachwuchskräfte gesucht werden. Zweitens dauert ein Lehramtsstudium ziemlich lang. Drittens nutzt die Landesregierung zwar diverse Möglichkeiten, um mit dem vorhandenen Personal mehr Unterricht abzudecken.

Aber all die Maßnahmen mit Quer- und Seiteneinsteigern, Assistenten aus einem Freiwilligen Pädagogischen Jahr oder den Pensionären, die zurück an die Schule kommen, können die Personalnot höchstens lindern. Das gilt auch für die Entlastung der Lehrer von fachfremden Aufgaben. Trotzdem sollte das Kultusministerium damit endlich Ernst machen.

Dass die Politik den Lehrermangel durch mangelnde Vorsorge mit verursacht hat, stimmt. Da können sich gleich mehrere Ex-Kultusminister Asche aufs Haupt streuen. Darüber kann man sich wahrlich ärgern, doch der kritische Blick zurück hilft bei der Bewältigung des Schülerandrangs jetzt nicht. Und die vielen Versprechungen, die teils von der Opposition, teils von den Lehrerverbänden als schnelle Entlastung propagiert werden, sind blanker Populismus oder Klientelpolitik. Natürlich würden Lehrkräfte sich freuen über mehr Altersermäßigung, bessere Teilzeitmöglichkeiten oder bessere Bezahlung. Im internationalen Vergleich schneiden Lehrer in Deutschland aber gerade dabei gut ab. Einen nachweislichen Beitrag zu einer besseren Unterrichtsversorgung leisten solche Maßnahmen nicht, zum Teil sind sie sogar kontraproduktiv. Das kann das Land sich jetzt nicht leisten.

Tatsächlich gehört zu den Notwendigkeiten in dieser angespannten Zeit, Schule radikal vom Schülerwohl her zu denken. Der klassische Interessenausgleich auch zwischen Lehrer-, Eltern- und sonstigen Interessen muss, so berechtigt er ganz generell auch ist, dahinter zurückstehen. Das ist ein Gebot der Solidarität mit den Jüngsten.

Dass die Koalition in der Schulpolitik die Grundschulen und die frühkindliche Bildung in den Mittelpunkt stellen und Ernst machen will mit der Deutsch- und Leseförderung, ist richtig. Das kommt viel zu spät – diese Kritik geht an alle Ex-Kultusminister und Landesregierungen der letzten zwanzig Jahre. Es ist bei hohen Schülerzahlen und Lehrermangel zwar schwer zu stemmen, aber die Richtung stimmt. Ob Grün-Schwarz gute Konzepte für die Aufgabe liefert, wird man aber erst sehen, wenn die bisher vagen Ideen ausbuchstabiert sind.

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