Stuttgart

Leitartikel: Höchste Zeit für Klartext

Der Prozess gegen den Inspekteur richtet viel Schaden an – und das Opfer wird vergessen.

Der Prozess gegen Andreas Renner, den Inspekteur der Polizei, hat eine Pause. Erst nach den Pfingstferien geht es weiter. Doch Ruhe herrscht in dieser Zeit mitnichten. Dazu haben der Prozess und all die pikanten Details am Rande der Verhandlung schon zu viele Emotionen aufgewühlt. Bei Polizistinnen und Polizisten und auch bei Bürgerinnen und Bürgern, die sich zu Recht fragen: Was ist los in der Behörde? Geht es bei denen, die für Sicherheit und Ordnung sorgen sollen, drunter und drüber?

In den Verhandlungspausen stehen immer wieder Grüppchen von Frauen auf dem Gerichtsflur zusammen und sprechen aus, was sie bewegt: Das ist die Polizei, die uns vor Übergriffen schützen soll? Wenn der ranghöchste Beamte im Land wegen sexueller Nötigung vor Gericht kommt, wie steht es denn dann um den Anstand der gesamten Organisation?

Der Schaden ist immens. Dass da ausgerechnet an der Spitze jemand sitzt, der sich offenbar derlei Verfehlungen erlaubt haben soll, erschüttert die Polizei zutiefst. Sektbesäufnis in den Diensträumen, Fummelei in einer Eckkneipe: Wenn die Führungsspitze den moralischen Kompass verloren hat, fällt das auch auf Tausende anständige Polizistinnen und Polizisten zurück – und die leiden unter diesem schlechten Ruf.

Es ist dringend an der Zeit, dass Klartext geredet wird. Wenn Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz in einer internen Runde sagt, das Verhalten des Inspekteurs sei nicht hinnehmbar, reicht das nicht. Zumindest einer sprach aus, was alle denken: Die Politik müsse endlich Position beziehen und klarmachen, dass Andreas Renner nicht mehr tragbar sei für die Polizei. Das ist ein überfälliges Signal. Natürlich steht das Disziplinarverfahren noch aus. Dennoch ist der Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Donnerstag im Landtag bei der von der SPD geforderten aktuellen Debatte deutlich geworden: Eine Rückkehr Renners in das Amt des Inspekteurs könne er sich nicht vorstellen. Das ist endlich ein Signal, auf das viele gewartet haben – zumal Renner Strobls Wunschkandidat für den Posten war.

Dennoch ist weiterhin Kritik am Umgang des Innenministeriums und der Polizeispitze mit der Affäre angebracht. Viel zu spät hat die Polizeipräsidentin Hinz erkannt, wie groß das Ausmaß des Schadens ist. Viele in der Polizei vermissen auch Selbstkritik bei ihr. Mit ihren Durchhalteparolen hat sie versucht, die Spitzenleute im Land einzufangen. Das ist viel zu wenig. Als Reaktion auf diese Durchhalteparolen hat die SPD dann das Thema „Fehlerkultur der Polizei“ auf die Agenda im Landtag gesetzt .

Wer unter dem allen am meisten leidet, sind die Frauen, allen voran die Hauptkommissarin, die den Mut hatte, Andreas Renner anzuzeigen. Es soll noch mehr Zwischenfälle und Affären gegeben haben, wie Insider berichten. Auf die Rückfrage, warum die Frauen das nicht anzeigen, wenn das stimmt, kommt stets die Antwort: „Aus Angst.“ Angst um die Karriere, die eigene psychische Gesundheit und nicht zuletzt den eigenen Ruf. Oder, wie es eine Prozessbeobachterin unlängst ausdrückte, als die Verteidigung wieder versuchte, die Anzeigeerstatterin als Frau mit wenig Sexualmoral darzustellen: „Ich verstehe jede Frau, die keine Anzeige erstattet. Das will niemand durchmachen.“

Gemeint ist, was man der Justiz oft vorwirft: dass in Verfahren wegen Sexualstraftaten die Frau ein zweites Mal zum Opfer wird. Das geschieht ausgerechnet bei diesem polizeiinternen Fall leider wieder. Nicht nur die Glaubwürdigkeit der Hauptkommissarin, auch ihre Moral wird infrage gestellt. Auch das zeigt: Zu spät wurde reagiert. Zu wenig wurde Klartext geredet, um ihr diese Pein zu ersparen. Das ist beschämend.

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