Stuttgart

Leitartikel: Ein rechter Höhenflug?

Umfragehoch der AfD zeugt mehr von Unzulänglichkeiten der anderen Parteien als von ihrer eigenen Stärke.

Sollten sich die Ampelparteien ebenso wie die Union nicht an ihre eigene Nase fassen, wenn es wieder einmal darum geht, nach oben schießende Umfragewerte der AfD zu beklagen? Sollten sie nicht endlich mit der Selbsttäuschung aufhören, der Widerspruch der AfD sei Beleg und Bestätigung genug, mit dem eigenen Schlingerkurs alles richtig zu machen? Sollten sie? Nein, sie müssen!

Demoskopen schreiben der „Alternative“ wieder bundesweit rund 17 Prozent zu. Dabei hatten viele Beobachter nach der letzten Bundestagswahl und Landtagswahlpleiten gehofft, der ultrarechte Aufwärtstrend wäre gestoppt. Doch im Frühjahr 2023 sieht es nicht danach aus. In einer Zeit, in der nicht nur die Forschungsgruppe Wahlen eine „multiple Krisensituation“ ausmacht, üben einfache rechtsgestrickte Antworten auf komplexe Herausforderungen, die viele Wähler unmittelbar betreffen und intellektuell nicht überfordern, ihren besonderen Reiz aus.

Vielen AfD-Mitläufern kann man das vorhalten, aber nicht unbedingt zum Vorwurf machen. Wobei klar sein muss: Ehrliche Demokraten können eine Partei nicht wählen, die der Bundesverfassungsschutz aus politisch nachvollziehbaren Gründen und rechtsstaatlicher Verpflichtung in weiten Teilen als rechtsextrem einstuft. Was heißt: Wer mit dem „Ich-habe-die-Schnauze-voll“-Habitus zur AfD wankt, kann die bräunlich-perverse Propaganda des Höcke-Lagers einfach nicht als ideologische Randnotiz abtun.

Dass die AfD zurzeit wieder Zulauf verspürt, ist nicht ihrer eigenen Stärke, sondern der eklatanten Schwäche der demokratisch parlamentarischen Parteien geschuldet. Die Flüchtlingspolitik findet keine klare Handschrift, Entscheidungen fehlen, ein politischer Wille auch.

Man muss nicht die AfD wählen, um skeptisch auf die Bundesregierung zu schauen. Ein Blick auf die Lageeinschätzung des Deutschen Städte- und Gemeindebund reicht völlig.

Man muss nicht die AfD wählen, um sich in der Öko-Kakofonie grüner Selbstverliebtheit mit seinen keineswegs leichtfertigen Bedenken und Sorgen zu wenig ernst genommen zu fühlen.

Man muss nicht die AfD wählen, um in der Union eine Opposition zu sehen, die sich zu einem korrigierenden Gegenkurs kaum durchzuringen vermag.

Man muss nicht die AfD wählen, um von einer SPD enttäuscht zu sein, die sich zwischen grünen und liberalen Strudeln treiben lässt. Was manchen Enttäuschten fragen lässt: Wie soll ich einem Schwerhörigen vertrauen, der behauptet, er habe verstanden?

Längst ist für viele Bürger ein Kreuzchen hinter der AfD kein Denkzettel für andere Parteien. Nicht nur im Hochburg-Osten verfügt sie mittlerweile über eine Stammwählerschaft, die für einen offenen demokratischen Diskurs verloren sein dürfte. Dieser schleichende Rückzug von den demokratischen Parteien ist ein schleichender Rückzug von der Demokratie insgesamt.

Noch nimmt niemand Alice Weidel ernst, wenn die Co-AfD-Chefin über eine Regierungsverantwortung schwadroniert. Das Nein der Union steht. Aber es reicht nicht, in einer komplizierten politischen Gesamtlage allein mit Abscheu und Abstand auf die Herausforderung am äußeren rechten Rand zu reagieren.

Alle Demokraten müssen nicht nur beweisen, wie schädlich die selbst ernannte Alternative für Deutschland für die Demokratie und die Zukunft des ganzen Landes ist. Sie müssen mehr: nachweisen und vermitteln, dass ihre Politik besser, erfolgreicher und bürgernäher ist als eine protestanheizende Wetterfahnen-Partei. Noch sieht es nicht danach aus.

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