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Geschkes harter Kampf ums Bergtrikot

Seit einer Woche trägt der Radprofi bei der Frankreich-Rundfahrt das Bergtrikot – als erst achter deutscher Radprofi, aber schon jetzt viel länger als seine Vorgänger.

  • Bergauf liegt ihm: der führende Kletterer Simon Geschke im gepunkteten BergtrikotFoto: //Sirotti Stefano, David Stockman

    Bergauf liegt ihm: der führende Kletterer Simon Geschke im gepunkteten BergtrikotFoto: //Sirotti Stefano, David Stockman

Das Thermometer kletterte so schnell in schwindelerregende Höhen, als wolle es den besten Bergfahrern bei der Tour de France Konkurrenz machen. Knapp 40 Grad waren es am Montag in Carcassonne, weshalb die Profis die meiste Zeit des Ruhetages in Räumen mit Klimaanlage verbrachten. Simon Geschke (36) saß morgens zwei Stunden auf dem Rad, dann zog er sich zurück. Ausruhen, Massage, Ausruhen – die Pause kam genau richtig. „Zuletzt“, erklärte er, „war ich schon nach dem Anziehen der Socken außer Atem.“ Und das muss sich möglichst schnell wieder ändern. Denn die Luft wird allmählich dünn für Simon Geschke.

Gewaltige Kraftanstrengung

Der Wahl-Freiburger ist einer der Hauptdarsteller dieser Frankreich-Rundfahrt, seit einer Woche trägt er das Bergtrikot – als erst achter deutscher Radprofi, aber schon jetzt viel länger als seine Vorgänger. Das ist ein riesiger Erfolg. Aber auch harte Arbeit. Über die Alpen rettete Geschke das Stück Stoff nur dank einer gewaltigen Kraftanstrengung. Nach der Etappe über den Col du Galibier (2642 Meter) meinte er: „Jeder rote Punkt auf dem Trikot steht für ein Jahr, das ich gefühlt älter geworden bin.“ Und jetzt warten auch noch die Pyrenäen.

An den nächsten drei Tagen geht es dort hoch her. Die Strecke führt über acht (!) Anstiege der zwei schwierigsten Kategorien, und zugleich wächst der Druck auf den führenden Kletterer. „Für uns als Mannschaft ist es super, das Bergtrikot zu haben, es sorgt für viel Präsenz“, sagte Cedric Vasseur, der General Manager von Geschkes Team Cofidis, der ARD, „die ganze Mannschaft wird für Simon arbeiten. Unser Ziel ist, dass er in Paris auf dem Podium steht.“ Sonderlich realistisch dürfte das allerdings nicht sein.

Geschke besitzt das richtige Gespür

Klar, Simon Geschke ist nicht nur ein starker Bergfahrer. Er besitzt auch das Gespür dafür, wann sich Attacken lohnen, und genügend Explosivität für Sprints am Berg. Zudem gilt er als sehr rennintelligent. Doch genügt das für den großen Coup? „Zuletzt musste er ordentlich leiden“, sagt Bora-Profi Maximilian Schachmann, „er hat zwar eine Chance, das Trikot in den Pyrenäen zu verteidigen. Aber einfach wird es nicht.“

Das liegt daran, dass Geschke nicht in der Lage ist, drei Tage nacheinander vorne mitzumischen. Dass sein Vorsprung in der Bergwertung nur sieben Punkte auf Louis Meintjes (39) beträgt und mindestens ein halbes Dutzend weiterer Fahrer auf den Gewinn des Bergtrikots spekuliert. Dass es schon genügend Etappen gab, an denen Geschke in der Wertung vorne blieb, ohne dafür etwas getan zu haben – und sein Rennglück irgendwann aufgebraucht sein wird. „Bei der Tour das Bergtrikot zu tragen ist etwas Besonderes. Dafür bin ich dankbar“, sagte Geschke, „aber in Paris sehe ich mich damit noch nicht.“

Was für den Routinier spricht, ist seine Gelassenheit. Seine Coolness. Seine Ruhe. Er erträgt den Trubel bei der Tour, weil er weiß, welchen Prestigewert das rot gepunktete Shirt hat. Und zugleich gerät er nie in Gefahr, den Fokus zu verlieren. Dafür hat er in seiner Karriere schon zu viel erlebt.

Der berühmte Vollbart im Peloton

Geschke, der berühmteste Vollbart im Peloton, gehört nicht zu den Siegfahrern. Und rasiert die Konkurrenz dennoch immer mal wieder. Den größten Erfolg feierte er 2015, als er nach einer 49 Kilometer langen Soloflucht in den Alpen auf der 17. Tour-Etappe nach Pra Loup triumphierte. „Jedes Kind träumt von so einem Erfolg“, sagte er damals unter Tränen, „ich hatte am Ende Krämpfe, doch ich musste über die Schmerzgrenze gehen. So viel habe ich in meiner Karriere ja noch nicht gewonnen.“ Nun könnte das Bergtrikot hinzukommen – für das es nicht nur im Peloton viele Interessenten gibt.

An jedem Tag, an dem Geschke die Führung in der Spezialwertung verteidigt, erhält er vom Tour-Veranstalter eine Handvoll Trikots zur freien Verfügung. Es haben sich schon etliche Familienmitglieder und Freunde gemeldet, die ihm nach der Tour das Zusatzgepäck gerne abnehmen würden. Doch nicht nur deshalb wird er in den Pyrenäen alles geben: „Dieses Trikot ist eines der schönsten, das es im Radsport gibt.“ Marcel Wüst würde da nicht widersprechen.

Der einstige Weltklassesprinter gehört zu den deutschen Radprofis, die das begehrte Kleidungsstück vor Geschke trugen – weil er während des Prologs im Jahr 2000 die 950 Meter zu einer kleinen Erhebung hinaufgesprintet war. Anschließend behielt Wüst es vier Tage, da es nur über flaches Terrain ging. Nun gehört er zu denjenigen, die Geschke alles zutrauen: „Er muss jeden Tag beißen und kämpfen – die Illusion stirbt zuletzt. Und wenn er in Paris das Bergtrikot noch trägt, würde ich ihm anbieten, ihn endlich mal zu rasieren.“

Doch nicht mal dieser Spruch hat Geschke im heißen Carcassonne in seiner selbst verordneten Regeneration am Ruhetag gestört. „Die Etappen in den Pyrenäen werden der Hammer“, hatte er zuvor noch verlauten lassen, „über alles andere denke ich erst später nach.“ Egal ob mit oder ohne Bergtrikot.

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