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Deshalb sind die Dänen bei der Tour so stark

Jonas Vingegaard im Gelben Trikot und seine Landsleute prägen die Frankreich-Rundfahrt – woran liegt das?

  • Jonas Vingegaard trägt noch immer das Gelbe Trikot.Foto: imago/Panoramic International

    Jonas Vingegaard trägt noch immer das Gelbe Trikot.Foto: imago/Panoramic International

Die deutschen Profis warten immer noch auf einen Etappensieg bei der Frankreich-Rundfahrt, wie auch die Franzosen, Spanier oder Italiener. Je kleiner die Zahl der Gelegenheiten wird, umso mehr fuchst dies die großen Radsport-Nationen. Erst recht, weil sie sehen, dass es auch anders geht. Denn die Tour de France ist bisher eine Tour der Dänen. Und das von Beginn an.

Los ging es in Kopenhagen – mit unglaublicher Begeisterung. An den ersten drei Tagen standen mehr als eine Million Fans am Straßenrand, die Marktanteile der TV-Übertragungen lagen bei knapp 80 Prozent. Am meisten gefeiert wurde Magnus Cort Nielsen, vor allem auf seiner spektakulären, 130 Kilometer langen Soloflucht im Bergtrikot in Richtung Sonderborg. Und dann rasierte der Mann mit dem markanten Schnauzer auf der zehnten Etappe gen Megéve auch noch alle Fluchtgefährten. Einen Tag später ließ Jonas Vingegaard am Col du Granon Topfavorit Tadej Pogacar stehen und fuhr mit seinem Sieg ins Gelbe Trikot, das er immer noch trägt. Und schließlich gewann Mads Pedersen solo in Saint Etienne. „So stark war der dänische Radsport noch nie“, sagt Michel Rasmussen, „wir erleben die Erfolge einer goldenen Generation.“ Selbstverständlich ist das nicht.

Schließlich erlebte Dänemark, wie Deutschland mit Jan Ullrich, den tiefen Fall großer Radsport-Helden. Bjarne Riis, wegen seiner Vorliebe zum Blutbeschleuniger Epo und des damit verbundenen viel zu hohen Hämatokritwertes „Monsieur 60 Prozent“ genannt, gewann zwar als bisher einziger Skandinavier die Tour de France, gestand aber elf Jahre später, bei seinem Triumph 1996 im Trikot des Team Telekom gedopt gewesen zu sein. Das gab am Ende seiner Karriere auch Michael Rasmussen zu. Der Kletterspezialist holte zweimal das Bergtrikot bei der Tour, ehe er 2007 als Gesamtführender von seinem Team Rabobank aus dem Rennen genommen wurde, weil er falsche Angaben über Trainingsorte gemacht hatte. Das schadete dem Duo zwar persönlich – nicht aber dem dänischen Radsport.

Engagement in der Nachwuchsarbeit

Klar, in der Zeit nach Rasmussen gab es ein kleines Loch. Zugleich aber wurde in den Vereinen in Dänemark weiterhin mit großem Engagement Nachwuchsarbeit betrieben. „Wie bei uns Talente unterstützt und gefördert werden, ist herausragend“, sagt Mads Pedersen, „das ist der Grund, warum wir heute da stehen, wo wir stehen.“

Allerdings funktioniert offenbar auch die Anschlussstrategie des Verbandes – in unterschiedlichsten Bereichen. Der Bahn-Vierer holte WM-Gold 2020 und Olympia-Silber 2021, bei den letzten sechs U-23-Weltmeisterschaften gab es fünf dänische Siege im Zeitfahren (1x Johan Price Pejtersen, 3x Mikkel Bjerg, 1x Mads Würtz), Mads Pedersen wurde 2019 Weltmeister im Straßenrennen. „Wir haben ein funktionierendes Graswurzelsystem“, sagt Michael Rasmussen, der mittlerweile für eine dänische Zeitung von der Tour de France berichtet, „bei uns wächst jeder mit dem Rad auf. Das wirkt sich jetzt aus.“ Und lässt sich mit Zahlen belegen.

So viele Fahrräder wie Einwohner?

Dänemark hat 5,8 Millionen Einwohner, die 4,5 Millionen Fahrräder besitzen sollen. Kopenhagen gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte der Welt – es gab Zeiten, da haben Umfragen zufolge bis zu 62 Prozent der Leute den Weg zur Arbeit oder zur Schule im Sattel zurückgelegt. Und auch im Profiradsport läuft es: Zehn Dänen nahmen die Tour 2022 in Angriff, damit befanden sie sich auf Augenhöhe mit Niederländern (10), Spaniern (10) und Deutschen (9). Die Dänemark-Rundfahrt gibt es nun (abgesehen von einem Jahr Corona-Pause) ununterbrochen seit 1995. „Das System bei uns funktioniert“, sagt Michael Rasmussen, „derzeit haben wir mehr Fahrer auf World-Tour-Niveau als je zuvor. Und für die Zukunft kommen starke Leute nach.“ Dabei ist die Gegenwart ja schon aufregend genug.

Vingegaard verteidigte das Gelbe Trikot auch am Samstag, obwohl Pogacar auf dem drei Kilometer langen, extrem steilen Anstieg zum Flughafen von Mende seinen Rückstand von 2:22 Minuten zu verringern versuchte. Doch Vingegaard wich ihm nicht vom Hinterrad. Zugleich zeigte sich, wie eng im Radsport alles beieinander liegt: Auf der 16. Etappe am Sonntag nach Carcassonne stürzte Jonas Vingegaard, blieb allerdings unverletzt. Nach einem Ruhetag am Montag geht es am Dienstag in die Pyrenäen, und es gibt immer mehr Experten, die Vingegaard – bislang, was Dopingvorwürfe angeht, unbelastet – den ganz großen Coup zutrauen. „Vor einem Jahr war er Zweiter der Tour, und wer Zweiter war, der kann auch gewinnen“, meint Michael Rasmussen, „für mich ist er der Favorit auf den Gesamtsieg.“ Auch wenn Paris noch weit weg ist.

Bis dahin bleibt festzuhalten, dass selbst Radprofis aus Dänemark bei der Tour der Dänen vor Dämpfern nicht gefeit sind: Am Sonntag musste Magnus Cort Nielsen aussteigen – nach einem positiven Coronatest. Auch in dieser Liste sind die Dänen nun also prominent vertreten.

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