Große Teile der Milchstraße sind neuen Forschungsergebnissen zufolge vier bis fünf Milliarden Jahre älter als bislang angenommen. Aktuelle Datenauswertungen hätten ergeben, dass eine große Zahl alter Sterne auf ähnlichen Bahnen wie die Sonne unterwegs sei, erklären Samir Nepal und seine Kollegen vom Leibniz-Institut für Astrophysik (AIP) in Potsdam.
Die dünne Scheibe der Milchstraße hat sich demnach bereits weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gebildet, wie die Astronomen im Fachjournal „Astronomy & Astrophysics“ schreiben.
Spurensuche in der Geburtsphase des Universums
Der bisherige Stand der Forschung war, dass die dünne Scheibe unserer Galaxie vor etwa acht bis zehn Milliarden Jahren entstanden ist. Nun hat sich gezeigt, dass die mithilfe von Daten der Gaia-Mission dort entdeckten sehr alten Sterne älter als zehn Milliarden Jahre seien, einige sogar älter als 13 Milliarden Jahre.
Gaia ist ein Weltraumteleskop der Europäischen Weltraumorganisation Esa, das den gesamten Himmel hochgenau dreidimensional optisch durchmustert.
Zu verstehen, wie sich die Milchstraße gebildet hat, sei ein wichtiges Ziel der galaktischen Archäologie, erklären die Astronomen. Dazu würden detaillierte Karten der Galaxis benötigt, die das Alter, die chemische Zusammensetzung und die Bewegungen der Sterne zeigen.
Dicke und dünne Scheibe, uralte und metallarme Sterne
Die Milchstraße besteht nach AIP-Angaben unter anderem aus einer dicken und einer dünnen Scheibe. Die meisten Sterne befinden sich in der dünnen Scheibe und folgen einer organisierten Rotation um das galaktische Zentrum.
Die Forscher hatten Daten von mehr als 800 000 Sternen in einer Entfernung von rund 3200 Lichtjahren in der Umgebung der rund 4,6 Milliarden Jahre alten Sonne analysiert.
Sie werteten für ihre Studie die Bewegung, Zusammensetzung und Entfernungen von mehr als 560 000 Sternen aus, die im Katalog des Gaia-Weltraumteleskops enthalten sind. Für rund 20 000 dieser Sterne konnte sie Alter und Dynamik sehr präzise ermitteln.
Weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall entstanden
Die stellare Kartierung zeigte: Eine überraschend hohe Anzahl von Sternen in der Sternenscheibe der Milchstraße ist metallarm und demnach uralt. „Diese metallarmen Sterne mit Orbits innerhalb der dünnen Scheibe bilden eine klar erkennbare Population“ erklären die Astronomen. Mehr als 50 Prozent dieser metallarmen Sterne sind älter als 13 Milliarden Jahre.“ Der Rest dieser Sterne war größtenteils älter als zehn Milliarden Jahre.
In der weiteren Untersuchung der Gaia-Daten zeigte sich, dass die Uralt-Sterne nicht nachträglich in die innere Sternenscheibe gelangt sein können. Sie müssen folglich schon von Beginn an dort gewesen sein.
Damit muss die Sternenscheibe der Milchstraße weit älter sein als gedacht. „Diese alten Sterne in der Scheibe deuten darauf hin, dass die Bildung der dünnen Scheibe der Milchstraße etwa vier bis fünf Milliarden Jahre früher begann als zuvor angenommen“, betont sagt Samir Nepal.
Fazit: Die Milchstraße erhielt den Forschern zufolge ihre typische Sternenscheibe bereits kurz nach ihrer Entstehung. „Die Sternscheibe der Milchstraße bildete sich weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall und wuchs dann kontinuierlich von innen nach außen weiter an“, berichten die Astronomen.
Kein Einzelfall in Entstehungsgeschichte von Galaxien
Wie sie feststellten, führte die starke Sternbildung in dieser frühesten Epoche zudem zu einer schnellen Anreicherung schwererer Elemente. Dadurch entstanden weitere sehr alte, aber metallreichere Sterne der galaktischen Scheibe.
Bisher galt eine frühe Sternenscheibe als absoluter astronomischer Sonderfall. Umso überraschender waren daher jüngste Beobachtungen des James-Webb-Teleskops. Demnach machten Scheibengalaxien schon in der ersten Milliarde Jahre des Kosmos 40 bis 60 Prozent der sternenreichen Galaxien aus. Der Nachweis, dass auch die Milchstraße schon sehr früh zur Scheibengalaxie wurde, bestätigt nun die Beobachtungen aus dem frühen Kosmos.
Info: So ist die Milchstraße aufgebaut
Aufbau
Das Milchstraßensystem hat die Form einer flachen Scheibe mit spiralförmigen Armen und einer Verdickung in der Mitte. Der Durchmesser dieser Scheibe beträgt etwa 120 000 Lichtjahre. Die Anzahl aller Sterne im Milchstraßensystem wird auf rund 200 Milliarden geschätzt.
Komponenten
Wie alle Spiral- und Balkenspiralgalaxien besteht das Milchstraßensystem aus drei Komponenten: Bulge, Halo und Scheibe.
Bulge/Kern
Er besteht hauptsächlich aus älteren Sternen und enthält 33 Prozent der sichtbaren Materie.
Halo/Außenbereich
Der galaktische Halo besteht aus weit verstreuten, älteren Sternen und Kugelsternhaufen, welche die Galaxie langsam umkreisen. Der Halo beinhaltet 1 Prozent der sichtbaren Materie, aber 95 Prozent der Dunklen Materie.
Scheibe mit Spiralarmen
Schwarzes Loch
Im Zentrum der Milchstraße befindet sich – wie in wohl jeder Galaxie – ein supermassives Schwarzes Loch.