Wirtschaft

Die Klimabremser aus Osteuropa

Die EU will zur Vorkämpferin im Kampf gegen den Klimawandel werden. Ärmere Länder sehen das skeptisch – und haben oft gute Gründe dafür.

  • Der Klimawandel beschleunigt sich zusehends. Die Europäische Union will in Zukunft Klimasünder zur Kasse bitten.Foto: dpa/Patrick Pleul

    Der Klimawandel beschleunigt sich zusehends. Die Europäische Union will in Zukunft Klimasünder zur Kasse bitten.Foto: dpa/Patrick Pleul

Alles scheint wie immer. Europa zieht in den Kampf gegen den Klimawandel, und die Bremser finden sich vor allem im Osten der EU. Das ehrgeizige Ziel der Union ist, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Auf diesem Weg soll nun ein wichtiger Schritt getan werden: die Ausweitung des Emissionshandels. Nach dem Willen vieler EU-Abgeordneten werden Konzerne ab 2025 für den Ausstoß klimaschädlicher Gase von gewerblichen Gebäuden und beim kommerziellen Verkehr bezahlen müssen. Private Haushalte werden zunächst ausgenommen, sollen später aber folgen. Das ist der zentrale Punkt einer Einigung im Umweltausschuss des Parlamentes in Brüssel.

Die Angst der Menschen in Osteuropa

Doch die Kritik aus den Ländern Osteuropas an den Plänen ist laut. Der Widerstand hat sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine noch erhöht. Der Überfall Russlands und auch seine finanziellen Folgen haben die Zukunftsangst der Menschen in den ärmeren Regionen Europas weiter erhöht, die durch die Migrationskrise und die Pandemie bereits massiv verunsichert sind.

Wie das Beispiel Ungarn zeigt, spielen auch manche Politiker aus Eigennutz auf der Klaviatur der Angst. Premier Viktor Orbán stellt die EU-Maßnahmen zum Schutz der Umwelt als teure Spielereien mit katastrophalen Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft dar. Geweckt werden alte Befindlichkeiten, und Brüssel wird als das Moskau der UdSSR dargestellt, das seine Mitgliedstaaten herumkommandiert. Für Westeuropäer sind diese Mechanismen nicht immer nachzuvollziehen. Reiche und weiterentwickelte EU-Länder wie Deutschland können die Klimavorgaben der EU natürlich einfacher abfedern als ärmere Staaten. Dort wird immer wieder auf die Kosten für die Industrie und die Folgen für den Arbeitsmarkt verwiesen.

Rasanter Wandel der Arbeitswelt

„Die Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn haben in den vergangenen Jahrzehnten enorm davon profitiert, dass die Industrieproduktion aus den alten in die neuen EU-Mitgliedstaaten ausgelagert wurde“, erklärte Richard Filčák, Leiter des Institute for Forecasting an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, in einem Interview mit dem „Journal für Internationale Politik und Gesellschaft“. Die aktuellen Maßnahmen aus Brüssel würden nun als Bedrohung für diese Arbeitsplätze gesehen, die sich vor allem im verarbeitenden Gewerbe befänden. Dabei werde allerdings aufseiten der Regierungen meist ausgeblendet, dass angesichts des rasanten Wandels der Arbeitswelt viele Reformen in den kommenden Jahren in Osteuropa auf jeden Fall in Angriff genommen werden müssten. „Das bisherige Produktions- und Verbrauchsmodell ist nicht nachhaltig, die erwerbsfähige Bevölkerung schrumpft; weitere Herausforderungen sind die Automatisierung und der Umstieg von einer wertschöpfungsschwachen Produktion zur Produktion höherwertiger Güter und Dienstleistungen“, analysiert Richard Filčák.

Das Heizen und Tanken wird teurer

Doch nicht nur die Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze oder dem weiter sinkenden Lebensstandard treibt die Menschen um. Wenn in einigen Jahren etwa durch die Ausweitung des Emissionshandels auf Privathaushalte Benzin und Heizen wesentlich teurer wird, trifft das die armen Regionen Europas besonders hart. Für viele Polen, die im Winter ihre Häuser noch mit heimischer Kohle anfeuern, ist das ein regelrechtes Horrorszenario. Auch die Überlegungen, die Wärmedämmung für Gebäude zu erhöhen, oder eine Pflicht für Solaranlagen auf dem Dach von Privathäusern sind für einen Bauherrn im reichen Luxemburg eine wesentlich kleinere Hürde als in Bulgarien.

Dieses Problem ist natürlich auch in Brüssel erkannt worden – ebenso die Gefahr von sozialen Verwerfungen. Aus der EU heißt es dazu, dass bereits aus dem aktuellen Emissionshandel viel Geld an die zehn ärmsten Länder der EU fließt. Das soll dort helfen, auf klimaneutrale Techniken umzustellen. Es werde nicht alle Probleme lösen, denn ein wesentlicher Teil des sozialen Ausgleichs müsse direkt über die einzelnen Staaten laufen.

Die größten Härten werden abgefedert

Aber auch hier stellt Brüssel die Mitfinanzierung der Ausgaben in Aussicht. Um die größten Härten abzufedern, wird in dem vom Umweltausschuss verabschiedeten Papier auch ein Klimasozialfonds gefordert, der bereits im Jahr 2024 eingerichtet werden soll. Aus diesem Topf sollen sich jene kleinen und mittelständischen Unternehmen bedienen können, die von den EU-Klimamaßnahmen direkt betroffen sind. In den Augen von Richard Filčák sind solche sozial flankierten Maßnahmen zentral dafür, dass die schwierige Transformation in Richtung Klimaneutralität auch in Osteuropa auf Akzeptanz trifft.

Grundsätzlich sieht er bei den Menschen eine große Skepsis gegenüber den Aussagen zum fortschreitenden Klimawandel. Allenfalls in den gebildeten, bürgerlichen Schichten in den Großstädten etabliere sich allmählich eine Art „grünes“ Denken. Da aber die Kohäsionspolitik, die Konjunkturprogramme der EU und auch andere Finanzinstrumente an den Umbau geknüpft sind, würden sich die Menschen am Ende zum Klimaschutz bekennen, sagt der Wissenschaftler. Die oft befürchtete Totalblockadehaltung Osteuropas in Sachen Klimaschutz hält Richard Filčák aus diesem Grund für unrealistisch.

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