Handykamera, Hochformat: Ein erschöpfter Prinz Harry spricht in die Kamera, weiß nicht, welcher Tag im März 2020 überhaupt ist nach Tagen voller Termine im Namen der Krone. Später sieht man seine Frau Meghan mit Handtuch auf dem Kopf – ähnlich ausgebrannt. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagt sie in die Kamera. „Ich will endlich am Ende von alldem sein.“ Lange Pause. Dann sagt sie unter Tränen: „Ich weiß nicht mehr, was ich noch sagen soll.“ Die Bildunterschrift zeigt an, dass sich Meghan im kanadischen Vancouver befindet. Offenbar hat das Paar schon früh gemerkt, dass ihr Abgang aus dem britischen Königshaus etwas ist, das für die Nachwelt festgehalten werden sollte.
So, unterlegt mit melancholischer Klaviermusik, beginnt die Netflix-Doku „Harry & Meghan“. Aus dem Off hört man die Stimme des Prinzen, der die Medien anprangert und das Königshaus, das er ominös „die Institution“ nennt: „Ich denke, jeder in meiner Situation hätte genau das selbe getan.“ Er habe seine Familie schützen müssen. „Es ist meine Pflicht, die Ausbeutung und Bestechung in unseren Medien aufzudecken.“ Deshalb habe er sich für den Rückzug entschieden. Es ist das Thema, unter das er den Abgang, von den britischen Medien auf den griffigen Namen „Megxit“ gebracht, stellt.
Vorausgeschickt wird der Doku gleich ein Disclaimer: Alle Interviews wurden bis August 2022 geführt – also vor dem Tod der Queen am 8. September. Und der Palast habe nicht auf die Inhalte der Serie reagieren wollen.
Die erste Folge der sechsteiligen Serie (drei Teile wurden am Donnerstag veröffentlicht, die weiteren drei folgen am 15. Dezember) schildert die Anfänge von Meghans und Harrys Beziehung.
„Ich hatte einen Weg – und dann kam H“
Eine Szene zeigt die Schauspielerin Meghan Markle bei einem Fernsehinterview. Es ist Oktober 2015 – ungefähr ein Jahr bevor sich Meghan und Harry kennenlernen – und Meghan wird gefragt, wer ihr besser gefällt, Prinz William oder Prinz Harry? Meghan bläst die Backen auf: Keine Ahnung, Harry? Die Szene soll zeigen, wie wenig die Amerikanerin gewusst habe von den Windsors auf der anderen Seite des Atlantiks.
Bevor sie Harry kennenlernte, sei sie glücklicher Single gewesen, sagt Meghan – und habe nicht vorgehabt daran etwas zu ändern. „Ich hatte eine Karriere, ich hatte mein Leben, ich hatte einen Weg – und dann...“ sie seufzt, „kam H.“ H – Prinz Henry Charles Albert David, der Enkel der Königin von Großbritannien. Das erste Mal habe er Meghan im Instagram-Feed einer Freundin gesehen – mit Snapchat-Hundeohren. Es gibt ein Date in London – über das Harry und Meghan so ausführlich sprechen, dass man sich unwillkürlich fragt, warum sie alle diese intimen Details mit der Welt teilen wollen (sogar die entsprechenden Textnachrichten laufen parallel über den Bildschirm). Der Rest ist Geschichte: Hochzeit im Jahr 2018, ein Baby – Archie – ein Jahr später.
Er habe keine Frau heiraten wollen, die vor allem in eine bestimmte Form passen sollte, sagt Harry. Er sei der Sohn seiner Mutter, Prinzessin Diana, die sich immer von ihrem Herzen habe leiten lassen. Lady Di, in deren Unfalltod 1997 die Pressefotografen eine schicksalshafte Rolle spielten. „Die Mehrheit meiner Erinnerungen ist, von Paparazzi umwimmelt zu sein“, sagt der heute 38-Jährige. Kein Familienurlaub, ohne dass Paparazzi aus dem Busch gesprungen seien. Die Doku zeigt alte Fernsehsequenzen, die William, Harry, Beatrice und Eugenie beim Skifahren zeigen – umringt von Fotografen. William, der Älteste, gibt höflich Antwort auf die Fragen der Journalisten, während seine kleinen Cousinen ein gequältes Lächeln versuchen.
Fotos und Videos von Archie und Lilibet
Für das, dass Meghan und Harry Großbritannien auch verlassen haben, um ihre Privatsphäre zu schützen, zeigen sie schon in Folge eins ziemlich viel von ihrem Familienleben: Videosequenzen und Fotos von Archie und Lilibet, private Momente im Garten oder Wohnzimmer – von Prinz Williams und Prinzessin Kates Familie hat man so viel Einblick noch nie bekommen. Harry erklärt, es ginge um „Zustimmung“. Dass er und seine Frau freiwillig den Vorhang für die Öffentlichkeit öffnen. In sechs Folgen erzählen Harry und Meghan den „Megxit“ aus ihrer Sicht: „Wenn so viel auf dem Spiel steht, ist es nicht sinnvoller, unsere Geschichte von uns selbst zu hören?“, fragt Herzogin Meghan.
Und das ist das eigentliche Problem dieser Doku – sie ist eben nur eine Seite der Medaille. Der andere Teil der Familie Windsor dürfte die Geschichte von Meghans und Harrys Abgang etwas anders sehen. König Charles III. und Prinz William, schreiben britische Medien, seien entschlossen, falschen Behauptungen in der Doku entgegenzutreten. Vor allem William soll keine Lust mehr haben, die ewigen Anschuldigungen aus Kalifornien schweigend hinzunehmen.
Wie wird König Charles III. reagieren?
„Das ist die erste große Herausforderung für den König als Kopf der Institution“, sagte eine royale Insiderquelle der Zeitung „Telegraph“. „Seine Reaktion wird viel darüber verraten, wie seine Regentschaft funktionieren wird. Wird er modern sein und antworten oder am Mantra ‚Never complain, never explain’ (zu Deutsch etwa ‚Nie beschweren, nie erklären’) festhalten?“
In der britischen Öffentlichkeit nimmt man die Netflix-Serie vor allem als unnötiges Nachtreten der Sussexes wahr. Der Monarchie-Experte Craig Prescott von der walisischen Universität Bangor sagte: „Es ist schwierig, die bloße Existenz dieser Dokumentation als etwas anderes als eine Eskalation des Zerwürfnisses zu betrachten.“
„Harry, hasst du deine Familie wirklich so sehr?“
Der britische Boulevard hat sein Urteil bereits gefällt. „Harry, hasst du deine Familie wirklich so sehr?“, titelte der „Daily Express“ schon, nachdem der erste Trailer erschienen war. Die einflussreichen Blätter „Daily Mail“ und „Sun“ schrieben von einer „Kriegserklärung“.
Die Vermarktung des „Megxits“ ist für Harry und Meghan ein gutes Geschäft: Sie handelten mit Netflix und Spotify millionenschwere Verträge aus. Die Nackenschläge für die Monarchie sind noch nicht vorbei: Im Januar erscheint Harrys Autobiografie. Für „Spare“ (zu Deutsch „Reserve“) hat sich der Prinz bestimmt noch ein bisschen Sprengstoff aufgehoben.