Schaut man sich auf Immobilienportalen um, gleicht das zuweilen einem Blick in ein Museum des Wohnens: Bäder aus den 70ern, Veloursteppiche und Plüschsofas sowie Schrankwände in „altdeutschem“ Stil aus den 80ern, gemusterte Tapeten, die womöglich bereits seit dem Bau des Hauses in den 1950ern das Schlafzimmer zieren. Jede Menge Arbeit also, die da auf Interior-Experten und Innenarchitekten wartet. Denn abgerissen werden sollen alte Häuser ja möglichst nicht, schon aus ökologischen Gründen. Einige solcher traurig herunter gewohnten Schätzchen sind auch der Jury des Preises „Best of Interior – die 50 besten Wohnkonzepte 2024“ untergekommen.
Freilich nach der Sanierung. Und ein solcher Altbau, eine Wohnung von 1969 in den Schweizer Alpen, wurde von Interior-Experten derart liebevoll und behutsam saniert, dass die 70er-Atmo noch spürbar ist, aber eben zeitgemäß interpretiert. Olivia Sommer und David Gössler von AADA dürfen sich nun über den ersten Preis dafür freuen. „Diese Wohnung ist nicht nur ein Ort zum Verweilen, sondern auch ein Platz für Kopfkino und ein Blick in die Zukunft im Hinblick auf den Umgang mit Bestand“, schreibt Fabian Freytag in seiner Laudatio.
Und die „Casa Muttabella“ zeigt, dass man nicht nur aus Gründerzeitwohnungen etwas machen kann. Wobei selbstredend ein umgebautes Jagdhaus wie jenes im Taunus, das Schmidt Holzinger Innenarchitekten umgestalten durften mit seinem handwerklichen Altbaucharme, dem aufgearbeiteten kunstvoll verlegten Eichenparkett im Tafelmuster und den dazu platzierten modernen Leuchten und Samtmöbeln schon auch einen wahr gewordenen Wohntraum darstellt.
Erstaunlich ist auch, wie die Architekten von Arnold Werner Architektur und Innenarchitektur aus München aus einer „Rumpelkammer“, wie Sascha Arnold zunächst sagte, mit „verschachtelten Grundrissalten sowie aus einem alten Atelier jeweils coole und behagliche Wohnungen geschaffen haben und zurecht gleich zwei Mal die Jury überzeugen konnten.
Es finden sich unter den fünfzig ausgezeichneten Interieurs zwei Projekte von Stuttgarter Büros. Peter Ippolito und Gunter Fleitz, Gründer der Ippolito Fleitz Group, haben in Portugal ein schier atemraubend opulent ausgestattetes Haus für einen weitgereisten Bauherren gestaltet, der auch seine Mitbringsel schön inszeniert bekommen hat.
Etwas zurückhaltend, mit klug platzierten Messinghighlights und hochwertigen Einbauten kommt das umgestaltete Heim eines Paares daher, das sich nach dem Auszug der Kinder für das eigene Haus in Reutlingen eine Renovierung vom Stuttgarter Studio Alexander Fehre gewünscht hat.
Gute Umwidmungsideen finden sich in dem zum Preis erschienenen Bildband (Callwey Verlag), etwa die denkmalgeschützte repräsentative Prachtvilla, die von Studio Stuhlemmer aus Berlin zum Mehrgenerationenhaus wird – samt barrierefreiem Wohnbereich für die Großmutter. In Aschaffenburg wiederum haben Stefan Seitz und Büroleiter Christian Heun den Auftraggeber überzeugt, eine alte Schreinerei eben nicht abzureißen. Nun erfreuen sich die Bewohner über Sichtmauerwerk und Stützpfeiler aus Holz im wohnlichen Daheim.
Ein alter Fertighaus-Bungalow aus den 1960ern in Königstein wurde zu einem Wohnhaus einer inklusive Wohngemeinschaft, das Studio Wolf Interior zeigt damit, dass rollstuhltaugliche Räume und ästhetischer Anspruch sich blendend vertragen.
Witzig sind auch Detaillösungen: Architekt Giorgio Gullotta hat ein aus dem Jahr 1858 stammendes Pumpwerk in Hamburg-Blankenese umgebaut, Backsteinwände freigelegt und Stahlsprossenfenster erhalten. Vertikal angeordnete blaue Fliesen vorm Kamin schinden Eindruck ebenso wie das Bücherregal, das in die Badewannenverkleidung im Badezimmer integriert wurde.
Die Jury war nicht dogmatisch, auch Chalets mit viel Holz, lässige Luxusinterieurs in New York, eine 1000 Quadratmeter Villa in München-Grünwald, in der auch noch ein DJ-Pult Platz fand, hat sie auf die Bestenliste gesetzt, ebenso übrigens wie kleine Projekte, ein knalliges Update eines Siebenquadratmeter-Badezimmers in Berlin von Uta von Maltzan Architektur, bei dem Grau auf Himbeerrot, Pistaziengrün, Dunkelblau und Hellorange trifft. Ein Beispiel aus Tokio von Takeshiko Suzuki Architects zeigt: 70 Quadratmeter reichen für eine dreiköpfige Familie samt einem Arbeitsplatz.
Inspirationen bietet das Buch also jede Menge, und wer derzeit nicht selbst renovieren (lassen) kann oder mag, findet sogar ein Beispiel fürs Wohnen für nur einige Tage: ein preisgekröntes Interieur – ein 180 Jahre alter Backstein-Schulbau in Norddeutschland – beherbergt nach Frederike Bettermanns Umgestaltung vier Ferienwohnungen in hellen Beige- und Brauntönen.
Im Bildband, der mit Texten und Fotos bestens über die Projekte und Innenarchitektur-Trends informiert, sind häufig farbenfrohe Projekte zu finden. Einen augenberuhigenden Ausreißer stellt ein monochrom minimalistisches Apartment in Berlin dar. Das haben sich die jungen Architekten Woo Kim und Taehwan Kim von 09A geschaffen, die in Berlin und Stuttgart studiert haben.
Kräftiges Blau ist derzeit beliebt, entweder mit Pastellfarben kombiniert, manchmal auch als Kontrast zu Landschaftsmotivtapeten eingesetzt, so wie bei einer kleinen Altbauwohnung in Mailand, die eine der fünf besonderen „Anerkennungen“ erhalten hat. „Hier würde ich selbst gern wohnen“, sagt die Gestalterin Gema Gutiérreze von Puntofilipino. „Ich auch!“, sagt die Leserin des Buches.
Bilder von Stuttgarter und anderen Wohnkonzepten finden sich in der Bildergalerie.
Info
Buch
Zum Preis ist auch ein Bildband erschienen: Carolin Sangha, Ute Laatz: Best of Interior – Die 50 schönsten Wohnkonzepte 2024, Callwey-Verlag (368 Seiten, 59,95 Euro). www.callwey.de