Kultur

Wie ein Opfer zu sein hat

Das britische Model Chloe Ayling wurde 2017 in Mailand entführt. Einige Medien glaubten ihr nach ihrer Freilassung nicht. Eine True-Crime-Serie bei ZDF Neo erzählt nun ihre Geschichte – ein Fall von Täter-Opfer-Umkehr und Slutshaming.

  • Chloe Ayling (Nadia Parkes) bei ihrem Auftritt im britischen FrühstücksfernsehenFoto: ZDF/Amy Brammall

    Chloe Ayling (Nadia Parkes) bei ihrem Auftritt im britischen FrühstücksfernsehenFoto: ZDF/Amy Brammall

Im Kreuzverhör mit Moderator Piers Morgan kommt das Model Chloe Ayling (Nadia Parkes) kaum zu Wort. Immer wieder greift er sie verbal an, wirft ihr vor, gelogen zu haben. Immer wieder setzt sie an sich zu verteidigen, zu erklären. Sie wirkt defensiv, fast trotzig, als sie schließlich sagt: „Wenn ich eine 30-jährige Frau wäre und nicht modeln würde, hätten die Leute wohl kaum diese Meinung von mir, das glaube ich nicht.“

True-Crime aus der Opferperspektive

Die sechsteilige True-Crime-Serie „Kidnapped: The Chloe Ayling Story“, die auf ZDF Neo gezeigt wird, steigt mit einem Fernsehinterview ein, das tatsächlich so stattgefunden hat. Wie auf einer Anklagebank sitzt da eine junge Frau: Chloe Ayling, die 2017 das Opfer einer Entführung wurde. Doch nicht nur der Moderator der Sendung „Good Morning Britain“ zweifelt damals an ihrer Geschichte. Zahlreiche Medien werfen ihr vor, die Entführung inszeniert zu haben, um berühmt zu werden.

Nadia Parkes spielt Chloe Ayling sehr authentisch

Sieben Jahre nach der Entführung wird Chloe Aylings Geschichte nun nach umfangreichen Recherchen erneut erzählt. Drehbuchautorin Georgia Lester und Regisseur Al Mackay nehmen dabei die Perspektive des britischen Models ein. Gespielt wird sie von Nadia Parkes, die der echten Chloe Ayling in Mimik und Gestik so nahe kommt, dass man sie manchmal kaum von den gezeigten Archivaufnahmen der echten Chloe Ayling unterscheiden kann.

Nach der Szene im Fernsehstudio springt die Serie drei Monate zurück und zeigt Chloe, wie sie vor der Entführung war. Eine Zwanzigjährige, die mit ihrer Mutter in einfachen Verhältnissen lebt, aber davon träumt, als glamouröses Model den Durchbruch zu schaffen. Sie zeigt Chloe als fröhliche, warmherzige junge Frau, die es liebt, vor der Kamera zu posieren und sich sexy zu kleiden. Voller Vorfreude fliegt sie nach Mailand, wo sie für ein Shooting gebucht wurde. Tatsächlich warten vor dem Fotostudio jedoch zwei maskierte Männer, die sie unter Drogen setzen und verschleppen. In einem abgelegenen Landhaus im Piemont wird sie von einem Mann gefangen gehalten, der ihr einredet, dass hinter ihrer Entführung eine gefährliche Organisation steckt, die sie als Sexsklavin verkaufen will. Nach sechs Tagen lässt sie ihr Entführer frei und bringt sie sogar selbst zur britischen Botschaft – wohl weil er romantische Gefühle für sie hegt und sich eine echte Beziehung zu ihr erhofft.

Zurück in ihrer Heimat wird sie von der Presse belagert und gibt schließlich ein folgenschweres Statement ab. Immer wieder werden in der Serie die Originalaufnahmen dieser Szene eingeblendet. Die echte Chloe Ayling, lange blonde Haare, wie sie – in Top und Shorts gekleidet – vor den Kameras posiert. Und lächelt.

Darf ein Opfer lächeln und sich so zeigen? Darf es sich freizügig kleiden? In den Medien wird über ihren Auftritt spekuliert, in den sozialen Netzwerken findet in Windeseile eine Vorverurteilung statt. Als daraufhin ihr Peiniger vor Gericht behauptet, die Entführung sei gemeinsam mit Chloe nur vorgetäuscht gewesen, um an Geld zu kommen, steht für viele fest: Chloe Ayling will berühmt werden, um jede

Vorurteile kritisch hinterfragen

True-Crime-Serie erzählt nicht nur die Geschichte eines ungewöhnlichen Verbrechens, sondern legt den Schwerpunkt darauf, wie mit dem Opfer umgegangen wurde, wie eine Täter-Opfer-Umkehr stattfand. So soll laut der stellvertretenden Senderchefin von ZDF Neo, Hanna Lauwitz, auch der Zuschauer dazu eingeladen werden, die eigenen Vorurteile kritisch zu hinterfragen. Heute kennt man den Begriff Slutshaming für das, was mit Chloe Ayling geschah. Da ihr Verhalten nicht dem entsprach, was die Gesellschaft von ihr als Opfer erwartete, wurde ihr nicht geglaubt, und sie wurde angefeindet.

Chloe Ayling selbst hat mit der Drehbuchautorin und der Schauspielerin zusammengearbeitet, um ihre Geschichte zu erzählen. So gelang eine feinfühlige Sicht auf eine Frau, die sich weder durch das Verbrechen, das an ihr verübt wurde, noch durch die Verurteilung durch die Öffentlichkeit, verbiegen lassen wollte.

Kidnapped: The Chloe Ayling Story: Sechs Folgen, in der ZDF Mediathek. ZDF Neo zeigt am 17. und 24. November ab 20.15 Uhr jeweils drei Folgen.

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