Nur eine „Mitläuferin“ sei Leni Riefenstahl gewesen, bescheinigt ihr der sogenannte „Persilschein“ der Spruchkammer Freiburg nach bestandenem Entnazifizierungsverfahren am 16. Dezember 1949. Ein bedeutsames Dokument in Andres Veiels Film „Riefenstahl“, weil die Regisseurin solcher Propagandafilme wie „Triumph des Willens“ über den Reichsparteitag der Nazis 1934 hoffte, sich damit ein für alle Mal reingewaschen zu haben vom Vorwurf, sie habe sich als überzeugte Faschistin mindestens ideologisch schuldig gemacht.
Unterm Eindruck des aktuellen Rechts-Trends ist Veiels von Sandra Maischberger produzierte Dokumentation „Riefenstahl“ umso wichtiger, weil sie gründlich mit dem Mythos von der vermeintlich apolitischen Künstlerin und Innovatorin aufräumt und damit auch vor der Normalisierung extremistischer Positionen im Hier und Jetzt warnt.
Rammstein zitiert ihren „Olympia“-Film – inklusive Hitlergruß
In der Popkultur spukt Riefenstahls brisante Ästhetik bis heute herum. Explizit etwa im Musikvideo zum Rammstein-Stück „Stripped“ (1998), in dem Auszüge aus Riefenstahls „Olympia“-Film von 1936 verarbeitet sind – inklusive Hitlergruß von am „Führer“ vorbei defilierenden Sportlern beim Einlauf der Nationen.
Oder in Lichtshows zu Open-Air-Events, unbewusst inspiriert von Albert Speers Lichtdom, den Riefenstahl bei den Reichsparteitagen filmisch inszenierte. Die in Riefenstahls Werken typische Überhöhung des makellos schönen, ideal-athletischen Körpers findet sich auch in den Bildern des mit ihr befreundeten, aus jüdischem Elternhaus stammenden Modefotografen Helmut Newton, der neben nackten Frauen auch Celebrities wie David Bowie, Charlotte Rampling oder Helmut Kohl ablichtete.
Obwohl Riefenstahls Vergangenheit, ihre Verbindungen zu Adolf Hitler, Joseph Goebbels und dem Nazi-Architekten Albert Speer der Öffentlichkeit bekannt war, landeten ihre Filme nie im Giftschrank der Geschichte.
700 Kisten Material hortete die 1902 in Berlin geborene Tochter eines Handwerkermeisters in ihrem Haus in Pöcking, die Veiel mit seinem Team durchgearbeitet hat. So kommt Riefenstahl bei Veiel ausführlich selbst zu Wort, während sich der Dokumentarist mit Kommentaren zurück hält.
Knapp umreißt der Film die Kindheit Riefenstahls als Tochter eines Vaters, der sich lieber einen Jungen wünschte und das kleine Mädchen kaltschnäuzig ins Wasser warf, damit es schwimmen lernte. Den drohenden Tod durch Ertrinken habe sie selbst nicht als schlimm empfunden, sagt Leni Riefenstahl über diese Erfahrung.
Ihre Autobiografie schreibt sie aktiv um
Es gibt andere Episoden, in der sie Männern widersteht, die auch sexuell übergriffig sind. Einmal heißt es, auch Goebbels habe sie bedrängt, ein anderes Mal leugnet Riefenstahl, Goebbels jemals privat getroffen zu haben. Was und wie viel von Riefenstahls Darstellungen objektiver Wahrheit entspricht, bleibt ungewiss.
Veiel porträtiert sie als Frau, die aktiv ihre Autobiografie um- und neu schreibt, manches betont, anderes wegwischt und ausmerzt. Beim Blick in Riefenstahls Aufzeichnungen fallen mehrfach bearbeitete Passagen auf, im Gegensatz zu solchen, die flüssig herunter geschrieben wurden.
Entlarvende Video- und Telefonmitschnitte
Besonders entlarvend sind unveröffentlichte Videomitschnitte von einem Interview in Riefenstahls Haus, wo die Befragte unwirsch bis cholerisch aggressiv auf kritische Nachfragen des Journalisten reagiert. „Ich lasse mich nicht vergewaltigen!“, bellt die Hochbetagte einmal, kurz davor, die Aufnahmen abzubrechen.
In Mitschnitten von Telefonaten mit Albert Speer oder nicht namentlich genannten Fans, die Riefenstahl ihre Unterstützung und Bewunderung versichern, kommt die bis zum Schluss ungebrochene nazistische Überzeugung Riefenstahls zum Ausdruck, die sie in der Öffentlichkeit stets verneinte. Deren Selbstdarstellung, als allein der Kunst verpflichtete, unpolitische Filmemacherin auf Weisung ihrer Auftraggeber gehandelt zu haben, zerpflückt Veiels Film als billige Lüge. Ein bewundernder, fast schwärmerischer Brief an Hitler ist nur einer von vielen Belegen, die Veiel in petto hat.
Woher Riefenstahls rassistisches Menschenbild herrührte, das in Aussagen zum afroamerikanischen Leichtathleten Jesse Owens oder im arroganten Umgang mit den Nuba im Sudan offensichtlich wird, die Riefenstahl in der Pose einer gönnerhaften Imperialistin als „edle Wilde“ porträtierte, kann der Film dagegen nicht erklären. Dass sie dieses Menschenbild erst im Kontakt mit den Nazis entwickelt haben könnte, scheint jedoch unwahrscheinlich.
Nicht Hitler oder Goebbels haben Riefenstahl zur überzeugten Faschistin geformt. Riefenstahl selbst hat die Nähe zu ihnen bewusst gesucht, um sich als eine der wenigen Frauen in der Männerriege zu profilieren. Eine unschuldig Verführte, zeigt Veiels Film, war Riefenstahl sicher nicht.
Riefenstahl: Deutschland 2024. Regie: Andres Veiel. Dokumentarfilm. 115 Minuten. Ab 12 Jahren.
Sandra Maischberger als Produzentin
Einstufung
Wie Riefenstahl wurden viele Täter nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft, darunter der 1977 von der RAF ermordete Ex-SS-Offizier Hanns-Martin Schleyer.
Aufarbeitung
In den 1990ern würdigten Ausstellungen etwa in Tokio, Rom, Mailand und Potsdam Riefenstahls Werke. Doch schon 1982 hatte sich Nina Gladitz in der WDR-Doku „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ kritisch mit Riefenstahl auseinander gesetzt. Die Moderatorin und TV-Produzentin Sandra Maischberger entwickelte nach ihrem Interview mit der Hundertjährigen ab 2002 die Idee zu einem Dokumentarfilm.
Regisseur
2018 kam Andres Veiel zum Projekt hinzu. In „Blackbox BRD“ (2001) hatte er die Biografien des RAF-Opfers Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams gegenüber gestellt, im Doku-Drama „Der Kick“ (2006) den Mord am 16-jährigen Marinus Schöberl durch drei Neonazis verarbeitet.