Kultur

Traumata im Scheinwerferlicht

Gemeinsam mit dem Citizen Kane Kollektiv verarbeitet die Queer-Aktivistin Ida Liliom im Drama „Liliom“ die Geschichte ihres Urururgroßvaters.

  • Citizen Kane (Valentina Sadiku, Christian Müller und  Nina Zinsmeister, v. li.)  und die Solistin Ida Liliom (re.) im PenthouseFoto: Lichtgut/Christoph Schmidt

    Citizen Kane (Valentina Sadiku, Christian Müller und Nina Zinsmeister, v. li.) und die Solistin Ida Liliom (re.) im PenthouseFoto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Eine ehemalige Großraumdisco: Menschen tanzen im Stroboskop-Licht zu lautem Techno, hinter einem Fenster leuchten die Scheinwerfer der Autos, die in Richtung Pragsattel fahren. In der Mitte des Saals steht eine junge Frau auf einem Podest. Helles Haar, ein weißer Overall, tiefe, offene Augen. Ida Liliom tritt an ein Mikrofon und erzählt ihre Geschichte.

Gemeinsam mit dem Citizen Kane Kollektiv dekonstruiert die Stuttgarter Queer-Aktivistin an diesem Abend ein Konzept von Männlichkeit, das sie lange geprägt hat. Die Basis dafür ist das Drama „Liliom“ des ungarischen Schriftstellers Ferenc Molnár. In Erinnerung geblieben ist es vor allem wegen seiner problematischen Hauptfigur: „Liliom“ erzählt die Geschichte eines alkoholabhängigen, misogynen, gewalttätigen Mistkerls – eine Figur, die vermutlich dem Urururgroßvater von Ida Liliom nachempfunden ist. „Er und Molnár waren zur selben Zeit am Budapester Theater und hingen viel gemeinsam in der Theaterkneipe ab. Der Typus, den das Drama beschreibt, ist seit jeher Teil meines Lebens. In meiner Familie gab es oft Diskussionen über die Parallelen des Stücks zu uns“, erzählt Ida. Viele der problematischen Strukturen spiegeln sich in ihrer Familiengeschichte: Alkoholismus. Gewalt. Misogynie. Männer, die umfallen wie Dominosteine und Frauen, die das Leben am Laufen halten müssen. Sie selbst hat sich von der Tradition ihrer Familie gelöst. Doch was bleibt, sind die Traumata – und die legt das Stück des Citizen Kane Kollektivs nun offen: „Wir wollen Tabus brechen, offen über Trauer, Daddy Issues oder den Alkoholismus von Elternteilen sprechen. Es gibt zu wenig weiblich gelesene Menschen, die mit ihren Tabus nach vorne kommen“, sagt Ida.

Der Impuls, Strukturen zu verändern, zeichnet Ida Liliom aus. Als Queer-Aktivistin hat sie 2017 den Verein „Queerdenken“ gegründet: „Wir haben zunächst Jugendtreffs für queere Jugendliche organisiert, heute stellen wir zudem Kulturfestivals auf die Beine, haben einen Podcast und veranstalten Workshops mit Schulklassen“, sagt sie. Besonders stolz ist Ida darauf, gemeinsam mit „Queerdenken“ die Trans Pride in Stuttgart etabliert zu haben – eine Demo für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung aller Geschlechter. Ida Lilioms Aktivismus lässt sich jedoch kaum auf ein Thema reduzieren: „Mein Aktivismus ist intersektional – er umfasst also nicht nur queere Lebenswelten. Ich bin auch Migrationskind, habe eine jüdische Geschichte und bin politisch aktiv.“

Als Aktivistin laut zu werden, fällt Ida nicht schwer, bei „Liliom“ ist das anders. Hier steht sie mit ihrem biografischen Hintergrund im Scheinwerferlicht. Zu Molnárs Geschichte kamen ihre Anekdoten und Erinnerungen, gemeinsam erarbeitete das Kollektiv neue Lesarten, Reflexionen und Dimensionen des Stücks. Dazu gehört auch die Umdeutung eines Raums, der in der Stuttgarter Clubszene lange Zeit gebrandmarkt war: Das Penthouse stand für das Konzept Großraumdisco. Für High Heels, knappe Röcke und toxische Männlichkeit. Das Citizen Kane Kollektiv schreibt dem Raum nun ein neues Narrativ zu – und mit der Reflexion kommt auch ein Stück Heilung: Der Eingangsbereich ist vom Künstler Moritz Kapstein mit hebräischen Schriftzeichen bemalt, ein Awareness Team kümmert darum, dass es allen gut geht. Ein Safe Space für alle, den das Kollektiv gemeinsam mit dem trabanten.kollektiv, das unter anderem Raves veranstaltet, auf die Beine gestellt hat. „Wir überschreiben einen Ort, an dem solche Dinge wirklich passiert sind“, sagt Christian Müller vom Citizen Kane Kollektiv. Im Vordergrund sollen dabei Strukturen stehen, die auf viele Menschen übertragbar sind: „Ich bin stolz auf die Performance, wenn sie dazu beiträgt, Debatten anzustoßen“, sagt Ida Liliom.

Liliom: Fr, Sa jeweils 20 Uhr , Ex-Penthouse

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