Kultur

Räuber mit Charme

Hotzenplotz, Seppel, Kasperl, Zwackelmann und die Großmutter sind zurück auf der großen Leinwand. Die neue Kinoverfilmung bietet Charaktere mit Tiefgang und ein überragendes Darsteller-Ensemble. Beste Familienunterhaltung für die Weihnachtszeit!

  • Was für ein Vergnügen: Zauberer Petrosilius Zwackelmann (August Diehl, links) und Räuber Hotzenplotz (Nicholas Ofczarek) verhandeln.Foto: Studiocanal/ Walter Wehner

    Was für ein Vergnügen: Zauberer Petrosilius Zwackelmann (August Diehl, links) und Räuber Hotzenplotz (Nicholas Ofczarek) verhandeln.Foto: Studiocanal/ Walter Wehner

Wer latscht gleichmütig mit bloßen Füßen durch das Salatbeet im Garten? Wer erschreckt die verträumt der Spieluhr ihrer Kaffeemühle lauschende Großmutter? Es ist der Räuber Hotzenplotz. Selbst wenn er bedrohlich mit der Pfefferpistole herumfuchtelt, woraufhin die erst empörte Dame (Hedi Kriegeskotte) ihm das Teil schließlich ängstlich aushändigt, spürt man die kindliche Begeisterung des bärtigen Gesellen angesichts seiner Beute. Er wirkt, als ob er ein neues Spielzeug bekommen hätte, das Glücksgefühle in ihm auslöst.

Liebevoll ausgetüftelte Kinoversion

„Der Räuber Hotzenplotz“ ist zurück auf der großen Leinwand, sehr liebevoll ausgetüftelt und dabei werkgetreu durch den Schweizer Regisseur Michael Krummenacher in Szene gesetzt. Das Drehbuch von Matthias Pacht bezieht sich dramaturgisch stimmig auf alle drei der zwischen 1962 und 1973 erschienenen Kinderbuchklassiker von Otfried Preußler. Und es greift zudem die als Puppenspiel gedachte und erst nach dem Tod des Autors veröffentlichte Zwischengeschichte „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ auf. Pacht, der einst an der Filmakademie in Ludwigsburg studierte, für den „Tatort“ und den „Polizeiruf 110“ schreibt, verfasste schon das Drehbuch zur erfolgreichen Preußler-Kinoverfilmung „Die kleine Hexe“ von 2018.

Großartig: August Diehl als Zauberer Zwackelmann

Bekanntlich machen sich Kasperl und Seppel im „Räuber Hotzenplotz“ nach dem Kaffeemühlenraub auf, den Schlupfwinkel des Diebs mittels eines Tricks zu finden. Hotzenplotz jedoch durchschaut diesen und bringt die beiden Buben in seine Gewalt. Kasperl verschachert er als Dienstboten an den Zauberer Petrosilius Zwackelmann, in dessen Schloss er endlos Kartoffeln schälen muss, während Seppel in des Räubers Höhle angekettet bleibt. Nachdem Kasperl im Kellerverlies die in eine Unke verzauberte Fee Amaryllis (Luna Wedler) entdeckt hat, ergibt sich schließlich ein rettender Plan.

Bereits 1974 mit Gert Fröbe und dann 2006 mit Armin Rohde in der Titelrolle knallig bunt verfilmt, hebt sich die neue Kinoproduktion wohltuend von Letztgenannter ab. Alles plump Slapstickhafte ist hier verschwunden. Die Erwachsenen-Figuren sind nicht mehr alberne, tollpatschige Deppen, sondern normale, fähige Menschen mit kleinen Schwächen wie jeder von uns. Michael Krummenachers Werk verleiht den vom Autor ursprünglich als Typen angelegten Charakteren viel Individualität und eine gewisse Tiefe.

So haftet Hotzenplotz, wunderbar differenziert von Nicholas Ofczarek verkörpert, partiell etwas Traurig-Verlassenes an, das Seppel spürt und gelegentlich gar Mitleid empfinden lässt. Großartig schillernd legt August Diehl den bösen Zauberer Zwackelmann manchmal fast comedianhaft an. Echt witzig ist das erste Handelstreffen zwischen ihm und dem Räuber, in dem er zeigt, wie er sich ohne Ende Kaffeemühlen herbeizaubern kann, aber verschweigt, dass ihm das mit schon geschälten Kartoffeln leider nicht gelingt. Auch Wachtmeister Alois Dimpfelmoser (Olli Dittrich) erweist sich zwar als beamtenmäßig spitzfindig und vorsichtig gesagt, zurückhaltend engagiert, aber durchaus menschlich.

Die im „Krimi“-Fall wenig hilfreiche, doch sehr sympathische Hellseherin Schlotterbeck (Christiane Paul) sagt gegenüber der Großmutter treffend, er sei „ein Fachmann, der weiß, was er tut, und tut, was er kann.“ Also nicht so viel, das Wenige aber durchaus rührend.

Seppel und Kasperl sind einfach hinreißend

Absolut hinreißend agieren die beiden Jungdarsteller Benedikt Jenke als Seppel und Hans Marquardt als Kasperl. Sie sind Freunde, die in ihren unterschiedlichen Talenten so konkurrenz- wie neidlos miteinander umgehen und sich wechselseitig stützen. Solidarität ist ein wichtiges Moment in diesem gelungenen, sehr charmantem Kinderfilm in anheimelnden, klassisch-pittoresken Kulissen. Er hätte ein bisschen straffer und kompakter erzählt ausfallen dürfen. Aber das ist auch schon der einzige Kritikpunkt.

Wasti kommt ein bisschen unbeholfen daher

Selbst die computeranimierten Szenen fügen sich ziemlich nahtlos ein. Wasti, der unglücklicherweise in ein Krokodil verwandelte Schlotterbecksche Dackel, ist ein bisschen unbeholfen gestaltet, könnte aber sehr gut als eine Marionettenfigur der Augsburger Puppenkiste durchgehen – und insofern eine Hommage sein, die kleine tricktechnische Schwächen in eine Botschaft verwandelt. Beim Thienemann Verlag, sozusagen der „Heimat“ des Gauners, ist man einleuchtender Weise zufrieden. Als „großes Filmvergnügen“ beschreibt die Verlegerin Bärbel Dorweiler die Neuverfilmung und fährt fort: „Ofczarek spielt einen erstaunlich vielschichtigen Hotzenplotz, Diehl einen wahrlich skurrilen Zwackelmann, und Seppel hat einfach mein Herz gestohlen!“

Der Räuber Hotzenplotz: D/CH 2022. Regie: Michael Krummacher. Mit Nicholas Ofczarek, August Diehl, Luna Wedler, Christiane Paul, Olli Dittrich. 106 Minuten. Ohne Altersbeschränkung

Diesen Räuber liebt die ganze Welt

Autor
Otfried Preußler (1923–2013) mühte sich 1961 mit seinem Jugendroman „Krabat“ ab. Als die Arbeit nicht voranging – das Buch erschien zehn Jahre später – schrieb er zur Ablenkung zwischendurch die lustige Kasperlgeschichte, die im Jahr darauf herauskam. Tausende begeisterte Kinder bestürmten ihn mit Karten und Briefen nach einer Fortsetzung, und so kam es zu den beiden Folgebänden.

Erfolg
Sechzig Jahre nach Erscheinen von Band 1 hat sich die Trilogie weltweit zehn Millionen Mal verkauft, allein in Deutschland sechs Millionen Mal. Sie wurde in 39 Sprachen übersetzt, darunter Koreanisch, Litauisch, Chinesisch sowie Afrikaans und befindet sich hier in der 77. Auflage. Seit Herbst gibt es auch eine vereinfachte, gekürzte Hotzenplotz-Fassung für den Grundschulunterricht.

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