Kultur

Ein Mann, der es nicht leicht hat

„Alter weißer Mann“ ist nicht nur ein Kampfbegriff, sondern auch der Titel von Simon Verhoevens neuer Komödie. Sein alter weißer Mann, gespielt von Jan Josef Liefers, ist allerdings kein verbohrter Gesinnungstäter – und eine sympathische Botschaft gibt es auch.

  • Derangiert: Jan Josef Liefers als Heinz Hellmich in „Alter weißer Mann“Foto: Leonine

    Derangiert: Jan Josef Liefers als Heinz Hellmich in „Alter weißer Mann“Foto: Leonine

Sie sind jenseits der Fünfzig, helfen Frauen in den Mantel, dafür selten im Haushalt. People of Color verorten sie vor allem im Servicepersonal, nicht aber in Chefetagen. Gendersternchen nennen sie gaga und neue Pronomen verwirrend. Von ihren Kritikerinnen und Kritikern werden sie unter dem Schlagwort vom „alten weißen Mann“ als Sexisten und Rassisten geschmäht, vor deren Ignoranz man sich in Acht nehmen muss – frau und they natürlich auch.

Ein Schlagwort, das die Gemüter erhitzt

Seit den 2010er Jahren erhitzt dieses Schreckgespenst die Gemüter in Feuilletons und Onlineforen. 2019 bezeichnete die Publizistin Margarete Stokowski gar den deutschen Spargel als „alten weißen Mann der Kulinarik“, während sich der umstrittene Medienwissenschaftler Norbert Bolz 2023 in einem Buch an der Ehrenrettung der Spezies versuchte: Alte weiße Männer hätten mit ihren Innovationen in der Vergangenheit die Welt derartig voran gebracht, dass man sie nun zu Unrecht schlecht mache.

Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) ist der erstaunlich liebenswerte Antiheld in Simon Verhoevens Komödie „Alter weißer Mann“ und trotzdem ein Paradebeispiel für ihn. Immerhin beweist der Mitarbeiter in gehobener Stellung bei einem Telekommunikationsunternehmen ökologisches Bewusstsein und lässt auf dem Dach seines Einfamilienhauses Solarpaneelen installieren. Allerdings durch ein Team von Schwarzarbeitern, was ihm einige graue Haare einbringen wird.

Bei der Werbekampagne gepatzt

Richtig schlecht läuft es für Hellmich in seiner Firma. Eigentlich soll er als neuer Partner in den Vorstand eingeführt werden, hat aber bei der Konzeption und Vorstellung einer wichtigen Werbekampagne gepatzt. Nun muss er bei einem aufgesetzt zwanglosen Abendessen die unabsichtlich von ihm gekränkte, asiatisch gelesene Chefin Lian Bell (Yun Huang) von seiner interkulturellen Kompetenz überzeugen und dabei auch das Vorstandsmitglied Dr. Steinhofer (Michael Maertens) gut aussehen lassen.

Zuhause kämpft Hellmich gegen eine Familienkrise an. Seine Frau Carla (Nadja Uhl) möchte nach langer Phase als Hausfrau und Mutter beruflich wieder durchstarten, während Hellmichs greiser Vater Georg (Friedrich von Thun) mit vorsintflutlichen Ideen von einer Karriere als Lokalpolitiker träumt. Teenagertochter Leni (Momo Beier) hat sich der rigiden Wokeness verschrieben, und ihr Bruder Linus (Juri Sam Winkler) brütet vorm Rechner im Kinderzimmer ein Geheimnis aus. Komplettiert wird das dicke Problempaket noch durch den AI-Guru Älex Sahavi (Elyas M’Barek), der mit seiner Künstlichen Intelligenz S.A.M. Hellmichs ollen Laden aufmischen will. Und als ordnende Hand im Chaos muss Hellmichs Assistentin Kiraz Tüfek (Meltem Kaptan) nicht nur sexistisch betextete Becher aus dem Teeküchenfundus räumen. Zuletzt hat der deutsche Filmemacher Simon Verhoeven die tragische Geschichte des schwarzen Show-Duos Milli Vanilli im deutschen Popzirkus aufgearbeitet. „Alter weißer Mann“ ist nun eine heiter-melancholische Komödie über die Macht rigoroser Kampfbegriffe, Vorurteile und sozialer Spaltungslinien. Den Plot könnte man aufgrund seiner zahlreichen Verästelungen, Nebenschauplätze und Wendungen heillos überfrachtet nennen. Verhoeven baut den aufgetürmten Konfliktkomplex aber souverän und bei aller Zuspitzung glaubwürdig bis zum erlösenden Happy-End wieder ab.

Alter weißer Mann oder nur überforderter Durchschnittsboomer?

Gerade deutsche Komödien kranken oft an ihrem Brachialhumor und am Zynismus gewissen Gruppen gegenüber, wie etwa der mehrteilige Erfolgshit „Fuck ju Göhte“. Zynismus ist Verhoeven dagegen fremd. Freundlich und voller Mitgefühl blickt er auf sein Personal und gewinnt selbst schnöselig angelegten Typen wie Älex Sahavi nette, komische Facetten ab. Sein alter weißer Mann Hellmich ist auch kein verbohrter Gesinnungstäter, sondern bloß ein von modernen Alltagsanforderungen überforderter Durchschnittsboomer, wie viele andere auch. Die Fronten zwischen den Generationen, Schichten, sozialen Identitäten sind heute nur noch schärfer markiert, zeigt Verhoeven, was die Verständigung so schwierig macht.

Wie im Labor setzt er die verschiedenen Positionen bei Hellmichs an den Abendbrottisch, um sie gegeneinander abzuwägen. Was in den krawallig überhitzten Online- oder Fernsehdebatten so gut wie nie funktioniert, klappt bei Verhoeven wie im Lehrbuch. Damit erweist er sich als Aufklärer ohne Zeigefinger, der im Gewand der Komödie dem Publikum das Zuhören als wichtigste Kulturtechnik vermittelt. Das ist zwar nicht spektakulär, aber hochgradig sympathisch.

Alter weißer Mann: Deutschland 2024. Regie: Simon Verhoeven. Mit Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Yun Huang, Friedrich von Thun. 114 Minuten. Ab 6 Jahren.

Debatte um einen Kampfbegriff

Metoo
Spätestens mit Beginn der Metoo-Debatte zum Weinstein-Skandal 2017 ist der Begriff vom „alten weißen Mann“ präsent. Im feministischen und queeren Kontext gilt die Figur als Inbegriff des Unterdrückers, während Kritiker diese Zuschreibung ebenfalls als pauschale Abwertung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe deuten.

Regisseur
In einem Interview rät Simon Verhoeven zu Offenheit in der Debatte um den Begriff und zur Selbstkritik. Eine übertriebene politische Korrektheit könne einen ehrlichen Diskurs auch erschweren.

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