Kultur

So sieht Geschwisterliebe aus

Sie streiten und verbünden sich. Geschwister bereiten einen aufs Leben vor – in vielerlei Hinsicht. Eine Ausstellung in Tübingen verrät viel über diese besondere Beziehung.

  • Die Fotografin Cindy Sherman macht sich lustig über Stereotype  und ist in die Rolle von Mutter und Töchtern geschlüpft.Foto: Cindy Sherma/ 

    Die Fotografin Cindy Sherman macht sich lustig über Stereotype und ist in die Rolle von Mutter und Töchtern geschlüpft.Foto: Cindy Sherma/ 

  • Seite an Seite durch Kindheit und Jugend: Elisabeth und Maja, die Nichten von Anton Romako, der die beiden  1873 malte.Foto: Belvedere Wien

    Seite an Seite durch Kindheit und Jugend: Elisabeth und Maja, die Nichten von Anton Romako, der die beiden 1873 malte.Foto: Belvedere Wien

  • So könnten Schwestern aussehen: Vier Mal Cindy Sherman, die sich auch für diese Fotografie von 2016 selbst in Szene gesetzt hat.Courtesy the artist and Hauser & WirthFoto: Cindy Sherman

    So könnten Schwestern aussehen: Vier Mal Cindy Sherman, die sich auch für diese Fotografie von 2016 selbst in Szene gesetzt hat.Courtesy the artist and Hauser & WirthFoto: Cindy Sherman

  • Teilen lernen: Cornelis de Vos hat 1921/1622 seine Kinder Magdalena und Jan Baptist de Vos gemalt.Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Christoph Schmidt/Christoph Schmidt

    Teilen lernen: Cornelis de Vos hat 1921/1622 seine Kinder Magdalena und Jan Baptist de Vos gemalt.Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Christoph Schmidt/Christoph Schmidt

  • Zu nah? Fotografie „Frowst, IV“ von Joanna PiotrowskaFoto: Joanna Piotrowska

    Zu nah? Fotografie „Frowst, IV“ von Joanna PiotrowskaFoto: Joanna Piotrowska

  • Artig wie Erwachsene: die drei Brüder Albert, Moritz und Leopold von Neuwall, die Leopold Kupelwieser 1820 gemalt hat.Foto: Belvedere, Wien

    Artig wie Erwachsene: die drei Brüder Albert, Moritz und Leopold von Neuwall, die Leopold Kupelwieser 1820 gemalt hat.Foto: Belvedere, Wien

Gott mag all seine Kinder lieben, an seinen pädagogischen Fähigkeiten kann man dennoch Zweifel anmelden. Dass Kain Abel erschlagen hat, ist nicht in Ordnung. Vor Gericht würden die Anwälte trotzdem um Verständnis werben: Er wusste sich nicht anders zu helfen. Er tötete den Bruder, weil Gott dessen Opfer vorzog.

Die Schwester versorgt die Kleinen

Fragt man Eltern, so versuchen sie meist, keines ihrer Kinder zu bevorzugen. Trotzdem ist es eine Illusion zu glauben, dass Geschwister identische Chancen und Pflichten hätten. Um das zu verstehen, genügt ein Blick auf ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Albert Anker, ein schweizerischer Künstler, malte eine Szene, die damals selbstverständlich war: Die große Schwester kümmert sich um die kleine – ihre Hausaufgaben müssen nebenherlaufen. Heute mögen Mädchen hierzulande nicht mehr für die Erziehung der Kleinen abgestellt werden, und doch ist es selbstverständlich, dass die älteren Kinder auch Verantwortung für die jüngeren übernehmen. Das wird sich vermutlich auch nie ändern.

Es prägt einen, ob man Geschwister hat – oder auch nicht

Auch deshalb ist die neue Ausstellung „Sisters & Brothers“ in der Kunsthalle Tübingen so interessant, weil dieser Streifzug durch „500 Jahre Geschwister in der Kunst“ sichtbar macht, was in der ambivalenten Beziehung zwischen Brüderchen und Schwesterchen steckt.

Ob man Einzelkind oder mit einem Stall von Geschwistern aufgewachsen ist, die Konstellationen und Beziehungen der Kindheit prägen fürs Leben. Geschwister lieben und ärgern sich, streiten und konkurrieren miteinander. Aber selbst wenn mitunter die Bauklötze fliegen, scheinen sie sich oft auch Trost und Halt zu geben – selbst wenn man das oft erst im Nachhinein begreift.

Erst eng verbunden, dann entzweit: William und Harry

In einer anderen Familienkonstellation hätte Kain womöglich nicht zugeschlagen. Es wäre auch denkbar gewesen, dass er sich mit seinem Bruder verbündet und gegen die Ungerechtigkeit des Vaters rebelliert. Geschwister bilden oft auch eine Schicksalsgemeinschaft in einer Gesellschaft, die bestimmte Rollen, Aufgaben oder auch Schicksale für sie vorgesehen hat. Der Tod der Mutter band die britischen Prinzen William und Harry eng aneinander, inzwischen haben die für sie vorgesehenen Rollen im Königshaus sie entzweit.

Auch Grimms Märchen handeln oft von Geschwistern

Die Konflikte, die Geschwister innerhalb ihrer Familien ausfechten müssen, haben schon der antiken Mythologie und den Märchen reichlich Stoff geliefert. Die Erzählungen der Gebrüder Grimm stecken voller pädagogischer Appelle.

Die japanische Bildhauerin Asana Fuji Kawa beschäftigt sich in ihren zarten Keramikskulpturen viel mit deutschen Märchen. In der Tübinger Ausstellung erzählt eine Arbeit auf zärtliche Weise aber auch etwas anderes: Drei Kinder liegen unter einer Decke und lesen gemeinsam in einem Märchenbuch – und reisen zusammen in der Fantasie in die weite Welt. Auch das kann fürs Leben prägen.

Schiller träumte davon, dass alle Menschen Brüder werden

Eltern erziehen einen, mit den Geschwistern übt man das soziale Miteinander, prügelt und streitet, um die eigene Position zu festigen, aber auch um zu lernen, welche Wege zur Versöhnung führen. Letztlich sind es wesentliche Schlüsselqualifikationen, die man in der Interaktion mit den Geschwistern erwirbt. Dabei scheint jede Zeit ihren eigenen Blick auf Kinder und Geschwister zu haben.

Wenn Schiller davon träumte, dass alle Menschen Brüder werden, so klang da auch seine durchaus idealisierte Vorstellung heraus, dass Geschwister stets innig und beste Freunde sind.

Im Pop und der Musikindustrie sind Geschwister längst ein werbewirksames Label. Ob es die Andrew Sisters, die Jackson Five oder Bee Gees waren, der Familienverbund kann ein Markenzeichen sein – und transportiert en passant die Idee eines angeborenen musikalischen Talents. Heute weiß man, dass es auch in kreativen Familien gewaltig knirschen kann. Der Blick auf Geschwister fällt vielleicht etwas differenzierter aus als in früheren Generationen.

Im Pop finden sich häufig Geschwister

Dass sich unterschwellige Aggressionen nicht mehr entladen wie bei Kain und Abel, daran können auch Therapeuten einen Anteil haben. In der Tübinger Ausstellung bekommt man eine Ahnung, wie sie arbeiten. Der Künstler Christian Jankowski hat sich, seinen Bruder und die Eltern in Holz geschnitzt. Die lebensgroßen Figuren stehen auf Rollwagen, die die Besucher wie bei der Familienaufstellung hin und her schieben können, um zu spüren, ob man zur Verwandtschaft vielleicht doch etwas auf Distanz gehen will.

Kunsthalle Tübingen bis 16. April 2023, täglich geöffnet, Mo–So 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 19 Uhr

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