Stuttgart - So eine Leistung hat es im deutschen Frauen-Volleyball nie zuvor gegeben: Als erster Verein gewann Allianz MTV Stuttgart nach dem Supercup und dem Pokal auch noch die Meisterschaft. Beim Besuch in unserer Redaktion zeigten sich Sportdirektorin Kim Renkema und Geschäftsführer Aurel Irion zuversichtlich, dass es für ihr Team erfolgreich weitergehen wird. Sie sprachen auch über die Probleme ihrer Sportart.
Bei jeder Feier und jedem PR-Termin haben Sie, Frau Renkema und Herr Irion, drei schwere Trophäen im Gepäck. Wie schwer wiegt diese Last?
Renkema: Wir haben einiges zu schleppen.
Kann das Triple auch eine Belastung sein – weil die Erwartung hoch, diese Leistung aber kaum zu wiederholen ist?
Renkema: Ich sehe es nicht als Last. Das Triple war die Belohnung für jahrelange Arbeit und das Ende einer unglaublichen Geschichte mit einem herausragenden Kader. Diese Erfolge nimmt uns niemand mehr. Jetzt beginnt eine neue Geschichte.
Mit welchem Inhalt?
Renkema: Ich würde mir natürlich jedes Jahr ein Triple wünschen, doch diesmal müssen wir mit unserer Zielsetzung etwas zurückhaltender sein. Wir haben ein komplett neues Team mit vielen sehr jungen Spielerinnen, wollen und sollten aber trotzdem oben mitmischen und um Titel angreifen.
Wie stark wird die Bundesliga in der nächsten Saison sein?
Irion: Was unser größter Konkurrent SSC Schwerin macht, müssen wir abwarten. Ansonsten dürfte das Niveau ähnlich sein.
Auch quantitativ?
Irion: Stand jetzt sind es, inklusive des SC Potsdam, neun Mannschaften.
Was ja kein Modell für die Zukunft ist.
Irion: Selbstverständlich nicht. Wir hoffen, dass es 2025 einen Paketaufstieg aus der 2. Liga Pro gibt und wir dann wieder zwölf Vereine sein werden.
Auf der anderen Seite spricht selbst die Volleyball-Bundesliga davon, dass sie derzeit nur zwei gesunde Vereine hat – Allianz MTV Stuttgart und SSC Schwerin. Ist das nicht ein Armutszeugnis?
Irion: Aus meiner Sicht gibt es ein Umdenken bei dem einen oder anderen Verein, der versucht, geschickter und vor allem ganz solide zu wirtschaften. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Liga einige kranke Patienten auf der Intensivstation liegen hat.
Wie kam es dazu?
Irion: Ein paar Vereine haben überzogen, um den Erfolg mit allen Mitteln zu erzwingen. An manchen Standorten wurde nicht richtig seriös und gut gearbeitet, sondern zu viel Geld ausgegeben – aus dem Druck heraus, unbedingt einen Titel holen zu wollen.
Wie groß ist bei Ihnen die Sorge um die Zukunft der Bundesliga?
Renkema: Ziemlich groß. Denn zu den Problemen, die wir ohnehin schon haben, kommt ja noch die neue US-Liga hinzu. Viele Spielerinnen wechseln dorthin, was die Situation für ambitionierte europäische Vereine verschärft. Das Niveau der Bundesliga wird sicherlich leicht nach unten gehen.
Wie könnte gegengesteuert werden?
Renkema: Wir brauchen mehr Geld im Volleyball-System. Es gibt Bundesligisten, die haben nur 500 000 Euro pro Jahr zur Verfügung – eigentlich ist das gar kein Profisport mehr. Deshalb müssen wir im Marketing viel mehr machen, die Sportart muss besser verkauft werden. Wir müssen Sponsoren zeigen, was im Volleyball möglich ist. Wenn das in Schwerin und Stuttgart geht, sollte das auch in anderen Städten machbar sein.
Wo könnte eine PR-Initiative ansetzen?
Renkema: Wir müssen mehr Image-Figuren schaffen. Und das deutsche Nationalteam muss sich mal wieder für Olympische Spiele qualifizieren, um im Fernsehen präsenter zu sein. Allein mit Erzählungen kann man Leute nicht vom Volleyball überzeugen.
Die deutschen Frauen kämpfen in der Nations League ums Ticket nach Paris, doch die Chance ist fast schon verspielt.
Renkema: Die Qualifikation ist kaum noch zu schaffen. So oder so wird nur eine selbstkritische Analyse helfen.
Inwiefern?
Renkema: Was im Nachwuchsbereich in den vergangenen Jahren getan und erreicht wurde, ist nicht genug. Wir dürfen nicht hinnehmen, wenn sich ein U-20-Nationalteam gegen Finnland und die Ukraine nicht für die EM qualifiziert. Das ist katastrophal. 2028 bei den Sommerspielen in Los Angeles muss Deutschland dabei sein, sonst können wir unsere Sportart nicht besser verkaufen. Derzeit hängt alles an den Vereinen.
Welchen Beitrag leistet Allianz MTV Stuttgart zur Nachwuchsarbeit?
Renkema: Seit der Übernahme des Bundesstützpunktes, für den wir Sponsorengelder akquiriert haben, einen großen. Doch es geht darum, die Talente nicht nur auszubilden, sondern sie danach im System zu halten. Dafür muss man ihnen attraktive Angebote machen können. Die Welt hat sich verändert: In den USA wird jungen Volleyballerinnen das gesamte Studium bezahlt, in Italien oder der Türkei stehen junge Mädels Schlange, weil im Volleyball viel Geld zu verdienen ist.
Derzeit spielen für das Nationalteam auch Annie Cesar und Hannah Kohn, die sich in Stuttgart nicht durchgesetzt haben. Trauen Sie Talenten zu wenig zu?
Renkema: Nein, es zeigt vielmehr, dass das Niveau des Nationalteams nicht so hoch ist, wie es sein sollte. Wenn Allianz MTV Stuttgart gegen die deutsche Nationalmannschaft spielt, werden wir vermutlich gewinnen. Ich bin bei dieser Frage aber auch noch aus einem anderen Grund zwiegespalten.
Aus welchem?
Renkema: Wir haben sehr viele Spielerinnen ausgebildet, die nun bei anderen Bundesligisten im Kader stehen. Am Ende ist es jedoch eine Frage der Strategie: Es ist enorm schwer, mit selbst ausgebildeten Spielerinnen erfolgreich zu sein und Titel zu holen.
Was unter PR-Aspekten aber perfekt wäre. Stattdessen steht im Kader für die nächste Saison in Antonia Stautz nur eine Deutsche.
Irion: Natürlich wünschen wir uns deutsche Spielerinnen, die wir nach oben bringen und die dann ihre ganze Karriere bei uns verbringen. Daran arbeiten wir.Renkema: Aber realistisch ist dieses Szenario nicht. Derzeit wechseln die guten Deutschen schon mit 21 oder 22 Jahren ins Ausland, weil es dort viel mehr Geld zu verdienen gibt. Wir haben zuletzt alles getan, um Monique Strubbe zu halten. Es gab keine Chance.
Bisher spielten aus Stuttgart nur die Volleyballerinnen in der Champions League, nächste Saison ist auch der VfB dabei. Wie sehr schmerzt es, dieses Alleinstellungsmerkmal verloren zu haben?
Irion: Überhaupt nicht. Der Sportregion tut es gut, dass der VfB eine so herausragende Saison hingelegt hat. Es ist doch toll, wenn es im Neckarpark zwei Champions-League-Teams gibt. Uns schadet das sicher nicht.
Wäre eine gemeinsame PR-Kampagne mit dem VfB denkbar?
Irion: Es wäre sicher reizvoll, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit über den Fußball zu bekommen. Grundsätzlich denke ich aber, dass wir weiterhin unseren eigenen Weg gehen sollten. Wir haben unsere Nische gefunden – als attraktivster und erfolgreichster Frauen-Sport in Stuttgart.
Sie beide bilden seit sieben Jahren das Führungsduo von Allianz MTV Stuttgart. Wie wird es weitergehen?
Renkema: Ich habe noch ein Jahr Vertrag, danach ist alles offen. Irion: Auch der Kontrakt mit unseren zwei Hauptsponsoren läuft noch ein Jahr, meiner ebenfalls, wie auch die Vereinbarungen mit Krystal Rivers und Roosa Koskelo. Das ist keine ganz einfache Situation. Klar ist nur: Für die Rente bin ich noch zu jung.