Es waren rührende Szenen – mit so viel Wärme, so viel Herz, mit so viel Dankbarkeit. Und sie standen fast schon im Kontrast zu dem Sturm, der kurz zuvor noch durch die Arena Champ-de-Mars gefegt war. Dort, unweit des Eiffelturms, finden während der Olympischen Spiele von Paris die Judo-Wettbewerbe statt. Und wer weiß, welchen Stellenwert die Kampfsportart in Frankreich hat, versteht auch das, was sich dort jeden Spätnachmittag abspielt.
Es ist unfassbar laut, sobald eine Athletin oder ein Athlet aus dem Gastgeberland auf die Matte tritt. Es werden Fahnen geschwungen, riesige Plakate mit den Konterfeis der Sportler hochgehalten – und endet ein Kampf siegreich für „Les Bleus“, könnte man meinen, die Arena hebt ab. Und übertrumpft den Tour Eiffel noch um ein paar Meter.
Eine neue Dimension wird das ganze Spektakel an diesem Freitag erreichen, wenn Teddy Riner, der französische Nationalheld auf die Matte tritt. Aber schon der vergangene Dienstag bot einen Highlight-Vorgeschmack. Mit rührender Note.
Clarisse Agbegnenou ist so etwas wie das Pendant zu Teddy Riner. Wenn auch nicht optisch. Die 31-Jährige kämpft in der Klasse bis 63 Kilogramm. Er ist Schwergewichtler, 2,05 Meter groß, über 130 Kilogramm schwer in der nach oben offenen Klasse. Agbegnenou holte 2016 Silber in Rio, 2021 Gold in Tokio – dann wurde sie schwanger. Kam nach der Geburt ihrer Tochter aber zurück auf die Matte, holte 2023 ihren sechsten WM-Titel und war nun im Kampf um Bronze in Paris angetreten.
Sie gewann, die Halle tobte – und die Judoka formte, als all der Druck abgefallen war, mit beiden Händen ein Herz, dankte so den Zuschauern, ehe sie an den Rand der Tribüne schritt. Und minutenlang ihre kleine Tochter auf dem Arm hielt. Einfach herzerwärmend in der gut gekühlten Arena. Die am Freitagabend trotzdem kochen wird.
Für interessierte Journalisten wurden bereits Zugangsbeschränkungen ausgesprochen, ausverkauft ist die Sportstätte längst – Schließlich wollen viele dabei sein. Wenn Geschichte geschrieben wird. Von einem, der seinen Platz in der Historie des Sports ohnehin längst sicher hat. Teddy Riner, seines Zeichens der erfolgreichste Judoka in der bisherigen Geschichte dieser Sportart. Wobei er zu einer Bestmarke erst noch aufschließen muss. Und will. Eben am Freitag in Paris.
„Wenn ich die Kinder sehe, die Familien, die Judofans, die meinen Namen rufen, ist das großartig. Der reine Sauerstoff“, sagte er Anfang des Jahres, als er in Paris beim Grand-Slam triumphiert hatte. Nur ein Titel von vielen zwar, aber ein wichtiger auf dem Weg in den Olymp.
Einst zehn Jahre lang ungeschlagen
Zweimal Einzelgold hat der Koloss, geboren in Pointe-à-Pitre auf Guadeloup, schon gewonnen (in London und Rio nach Bronze in Peking), dazu eine weitere Goldmedaille mit dem Team vor drei Jahren in Tokio. Eben diese Spiele in Japan haben aber auch dafür gesorgt, dass der 35-Jährige noch nicht aufgeschlossen hat zu Nomura Tadahiro. Der Japaner hat zwischen 1996 und 2004 dreimal Olympiagold gewinnen – als bisher einziger im Judosport.
Dass Teddy Riner sein Triple nicht schon in Tokio klargemacht hat, war eher überraschend. Schließlich war er in den Jahren zuvor nichts weniger als das: unschlagbar. Zwischen 2010 und 2020 gewann er 154 Kämpfe, ohne dazwischen einen zu verlieren. Erst im Februar 2020 wurde er wieder bezwungen. In jener Zeit hat er auch sieben WM-Titel gewonnen, davor schon drei, danach noch einen.
Nun also Paris, wo der Superstar am vergangenen Freitag gemeinsam mit der Ex-Leichtathletin Marie-José Perec das Olympische Feuer entzünden durfte. Als Schlusspunkt einer außergewöhnlichen Karriere? Nicht unbedingt. Er fühle sich nach wie vor gut und stark, erklärte Riner vor den Spielen in der französischen Sportzeitung „L’Équipe“, er spüre noch „Enthusiasmus“ für seinen Sport und ziehe die Möglichkeit, auch 2028 in Los Angeles zu starten, durchaus in Betracht. Erst einmal liegt der Fokus aber auf diesem Freitag.
Klar ist: Es wird laut werden in der Arena Champ-de-Mars, die französischen Fans werden durchdrehen – zudem ist nicht ausgeschlossen, dass es am Ende wieder hochemotional wird.